Leben als Profi
Länderspiele Anfang November in der Hardau. Silvana Nötzli sitzt im ersten Spiel gegen Finnland vorerst auf der Bank, während sich ihre Kolleginnen auf dem Platz gegen den Vizeweltmeister abmühen. Als Nötzli wie geplant eingewechselt wird, ist es, als ob jemand auf den Lichtschalter gedrückt hätte. Sie spielt schneller, sicherer und präziser als alle anderen auf dem Feld. Sie gestaltet das Spiel von hinten heraus, bedient ihre Mitspielerinnen mit präzisen Pässen, geht selber nach vorne und sucht die 1-1-Situationen - plötzlich verändert sich der Charakter des ganzen Spiels. In diesem Moment kann man erahnen, auf welchem Level in Schweden die Meisterschaftsspiele ausgetragen werden und warum die Schwedinnen dreimal in Folge überlegen Weltmeister wurden. Nötzli spielt ihre zweite Saison in der Liga des Weltmeisters - als Profi. Sich ganz auf den Sport konzentrieren zu können, zahlt sich aus. «Ich bin in der besten Verfassung meines Lebens», sagt sie. Schweizer jammern ja oft und gerne. Nötzli tut das nicht. «Ich bin derzeit rundum glücklich», strahlt die Bülacherin.
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Leben als Profi
Silvana Nötzli bestreitet ihre zweite Saison bei KAIS Mora IF und konzentriert sich 100 Prozent auf den Sport. Arbeiten könne sie noch lange genug.
Länderspiele Anfang November in der Hardau. Silvana Nötzli sitzt im ersten Spiel gegen Finnland vorerst auf der Bank, während sich ihre Kolleginnen auf dem Platz gegen den Vizeweltmeister abmühen. Als Nötzli wie geplant eingewechselt wird, ist es, als ob jemand auf den Lichtschalter gedrückt hätte. Sie spielt schneller, sicherer und präziser als alle anderen auf dem Feld. Sie gestaltet das Spiel von hinten heraus, bedient ihre Mitspielerinnen mit präzisen Pässen, geht selber nach vorne und sucht die 1-1-Situationen - plötzlich verändert sich der Charakter des ganzen Spiels. In diesem Moment kann man erahnen, auf welchem Level in Schweden die Meisterschaftsspiele ausgetragen werden und warum die Schwedinnen dreimal in Folge überlegen Weltmeister wurden. Nötzli spielt ihre zweite Saison in der Liga des Weltmeisters - als Profi. Sich ganz auf den Sport konzentrieren zu können, zahlt sich aus. «Ich bin in der besten Verfassung meines Lebens», sagt sie. Schweizer jammern ja oft und gerne. Nötzli tut das nicht. «Ich bin derzeit rundum glücklich», strahlt die Bülacherin.
Signale verstanden
Als Nötzli im Sommer 2011 mit Natalie Stadelmann bei KAIS Mora IF anheuerte, gab es den einen oder anderen «Hä?-Effekt». Schweden liegt nur zwei Flugstunden von der Schweiz, und doch ist es eine andere Welt. Sportlich musste Nötzli zum Beispiel lernen, dass sie in Schweden als Schweizer Nationalspielerin überhaupt keinen Bonus hat. «Niemand interessiert sich dafür, wer du bist oder woher du kommst, du bist nur eine Nummer. Da hauen dich im Training Juniorinnen respektlos um, du musst dir deinen Status erkämpfen», sagt sie und ergänzt: «Von der Schweiz wissen die Schweden nichts. Und in Sachen Unihockey kennen sie nur Simone Berner».
Ihren Status in der Schweiz kannte Nötzli. Schon früh war ihr Talent offensichtlich, sie erhielt bei den Red Ants bereits als 17-Jährige viel Einsatzzeit. Man gestand ihr als Offensivverteidigerin auch Fehler zu, ihr Spielwitz konnte sich so prächtig entwickeln. Mit der Zeit wurde sie zur gestandenen Nationalspielerin mit Stammplatzgarantie im Verein. «In der Schweiz gehst du ins Training und weisst innerlich, dass du am Wochenende ohnehin spielst. Bei Mora musste ich lernen, mich schon auf die Trainings vorzubereiten», zieht Nötzli den Vergleich. Sie wurde gleich zu Beginn in die Verteidigung von Moras Paradeformation um Anna Wijk, Amanda Larsson und Therese Karlsson gesteckt. Um diesen ersten Block dreht sich alles - täglich wird in den Zeitungen über den Verein berichtet, meistens mit dem Fokus auf dieser Linie. In den ersten Wochen hatte Nötzli Mühe, auf dem Niveau dieser Stars zu trainieren. «Sie sagten nicht viel, aber manchmal sah ich, wie sie die Augen verdrehten, wenn ich Fehler machte», erinnert sich Nötzli lachend. Im zweiten Meisterschaftsspiel gegen IKSU (Nötzli: «Ich war grottenschlecht») wurde sie ausgewechselt, der Trainer liess mit fünf Verteidigerinnen weiterspielen. «Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal ausgewechselt worden war. Aber ich verstand das Signal - ich musste mehr bringen.»
Wachsen oder zerbrechen
Es dauerte bis Weihnachten 2011, ehe Silvana Nötzli sportlich ankam. «Erst da machte ich so richtig auf», beschreibt sie den Moment. Es brauche Zeit, Geduld - eine gute Spielerin zu sein reiche nicht, man müsse sich integrieren und wohl fühlen. Ab da wurde es «richtig geil», mit den grossen Stars zu trainieren. «Eine Sara Kristoffersson etwa sagt mir in den Trainings, dass ich ihr die Pässe lieber hoch statt flach spielen soll - sie treffe die Bälle volley besser. Wahnsinn, oder?», fragt Nötzli und breitet sich während des Gesprächs immer mehr auf dem Sofa aus. Man spürt, wie wohl sie sich fühlt. Eine Wohlfühl-Oase seien die Trainings aber keineswegs. Im Gegenteil. «Es geht jedesmal ums Gewinnen, bei jedem kleinen Spiel. Du verlierst nicht, das geht einfach nicht», sagt sie. Und daran könne man wachsen, oder eben auch zerbrechen. Schon manche Schweizerin kehrte vorzeitig aus Schweden wieder heim.

Silvana Nötzli fühlt sich in Schweden rundum wohl.
Speed färbt ab
Die Trainings im Vergleich zur Schweiz beschreibt Silvana Nötzli als völlig anders. Es wird wenig gesprochen und schon gar nicht diskutiert. Der Fokus liegt auf dem hohen Tempo und der Intensität, alles ist auf schnelle Gegenzüge ausgerichtet. «Wir haben nur wenige Übungen, aber die werden immer und immer wieder trainiert. Ein Zuruf genügt, und alle wissen sogleich, worum es geht. Und dann geht die Post ab, hohes Tempo, hin und her», sagt Nötzli. Als sie vor den November-Länderspielen einige Übungseinheiten mit den Red Ants absolvierte, staunte auch deren Trainerin Kati Eteläpää über Nötzlis Speed mit und ohne Ball. Natürlich geht es etwas zu weit, den Aufschwung der Red Ants (vier Heimniederlagen in Serie vor der Nati-Pause, Siege gegen Piranha, Zug und Dietlikon danach) nur damit zu verbinden, aber verschiedene Spielerinnen sprachen davon, in dieser Zeit gemerkt zu haben, dass die Intensität in den Trainings zuvor eben gefehlt habe.
Einen Teil des schwedischen Tempos erklärt sich Silvana Nötzli mit den paradiesischen Grossfeld-Verhältnissen im Norden. «Es gibt Spielerinnen, die auf Grossfeld trainieren, seit sie vier Jahre alt waren. Am Anfang rennen alle nur dem Ball nach - so muss man ja schnell werden», sagt sie lachend.
Tai Chi mit Senioren
Die Quantität und Qualität der Trainings hängt natürlich auch von der verfügbaren Zeit ab. Nötzli kann sich als Profi voll auf den Sport konzentrieren. An einem normalen Tag steht sie gegen 9 Uhr auf und bestreitet ihr persönliches Kraft- und Stabilisationsprogramm. Die Übungen dazu hat sie teilweise ihrem «heimlichen Schwarm» Bastian Schweinsteiger von Bayern München abgeschaut, wie sie schmunzelnd zugibt. «Ich musste für mich selber herausfinden, was ich brauche. Das Ziel dieser Übungen ist, vereinfacht gesagt, wieder beweglich zu werden wie früher als Kind. Erwachsene können heute ja kaum noch einen Purzelbaum», sagt sie. Früher oft von Rückenproblemen geplagt, widmet sie heute dieser persönlichen Fitness viel Zeit. Ziel sei aber nicht, zuviel Masse zu verlieren, denn diese wird in den harten Zweikämpfen in der Liga noch gebraucht.
Im Sommer begann sie mit Tai Chi, inmitten einer Seniorengruppe. «Die Leute da sind von 65 an aufwärts», sagt sie und lacht laut. Aber es funktionierte. «Mittlerweile kenne ich meinen Körper so gut wie noch nie. Folglich geht es mir super. Das verdanke ich meinem Leben hier in Schweden.»
Während man in der Schweiz oft gestresst nach einem langen Arbeitstag ins Training hetzt, freut sich Nötzli auf die Trainings mit dem Team am Abend. Aber sie weiss: Diese Trainings reichen nicht. «Alle Topspielerinnen, die ich hier kenne, trainieren ausserhalb der Trainings mit dem Team zusätzlich selber. Fast jeden Tag. Das fehlt in der Schweiz noch», stellt sie einen weiteren Unterschied zwischen den beiden Ländern fest.
Ziel SM-Gold
In der aktuellen Saison pendelte Nötzli zwischen dem ersten und zweiten Block. Mora versucht die Balance zwischen den Linien zu finden und auch der zweiten Formation mehr Gewicht zu verleihen. «Hinter Karlsson, Wijk und Larsson könnte man ja auch einen Kartoffelsack hinstellen», sagt Nötzli dazu. Beim 4:2 Heimsieg gegen Karlstad kurz vor der WM -Pause schoss diese Linie sämtliche Treffer. 12 Tore und 5 Assists hat Nötzli in den bisherigen elf Saisonspielen gebucht und belegt damit als Verteidigerin Rang 17 der Skorerliste der Superligan, «aber manchmal wurden mir die Bälle so pfannenfertig aufgelegt, dass ich einfach treffen musste», sagt sie bescheiden.
Mora liegt derzeit auf dem zweiten Platz hinter Djurgarden, knapp vor Champions- Cup-Sieger IKSU . Ziel ist die erneute Qualifikation für das grosse Endspiel in Malmö vom 13. April. In der letzten Saison qualifizierte sich Mora erstmals dafür, blieb mangels Endspielerfahrung gegen IKSU aber chancenlos. «Ich will nochmals da hin und es im zweiten Anlauf besser machen», sagt Nötzli, diesmal ohne ihr charmantes Lachen. Sie meint es ernst. «Ich bleibe so lange hier, bis ich diese Goldmedaille gewonnen habe», sagt sie. Jetzt ist das Lächeln wieder da. Aber nur ganz fein. Es würde nicht überraschen, wenn nach Marisa Mazzarelli (2003 mit Balrog) eine zweite Schweizerin schwedisches Meisterschafts-Gold holen würde.