12.
2002
René Berliat in Schweden - Endlich der erste Sieg
Nach dem dienstäglichen Straftraining (siehe letzter
Bericht) verlief die restliche Woche sehr positiv. Am Samstag ging es dann nach
Södertälje (Südstockholm), was hier 3,5 Stunden Carfahrt bedeutet und als völlig
normale Distanz empfunden wird (den schwedischen Söldnern in der Schweiz müssen
die kurzen Reislein zu den meisten Spielen als pure Erholung vorkommen....).
Dort trafen wir auf ein Team, das meines Erachtens in der Schweiz ernsthaft um
den Schweizer Meister Titel mitreden würde. Bei uns hatte sich jeder viel
vorgenommen, und das merkte man von der ersten Minute an. Eher unglücklich
gerieten wir mit 2:0 zurück. Diesmal gaben wir allerdings nicht klein bei und
schlugen bis Drittelsende mit drei Toren zurück. Als wir dann anfangs 2. Drittel
auch noch das 4:2 schossen, ging eigentlich, trotz zunehmendem Druck
Södertäljes, alles in eine sehr gute Richtung. Das sahen wohl auch unsere
Verteidiger so, worauf sie die Risikobereitschaft bei Auslösungen, wie schon
x-mal diese Saison, auf ein Mass heraufschraubten, wo Fehler die logische Folge
sind. Durch wirklich unglaubliche Blackouts gerieten wir innert kürzester Zeit
4:5 in Rückstand und man merkte förmlich wie die Spieler dachten: „Nein, nicht
schon wieder....!“
Im August fragte ich mich jedesmal, was das soll, wenn im
Training oder manchmal sogar in Freundschaftsspielen unser oder das gegnerische
Team nach eigenen schweren Fehlern, die dem Gegner ein Tor ermöglichten, in
lautes Indianergebrüll ausbrachen. Bei Nachfrage erfuhr ich, dass man so seinem
Mitspieler klarmachen will, dass man solche Aktionen nicht gerade toll findet...
Auch in der Schweiz haben wir ja in jedem Team diese „speziellen“ Spieler, die
mit grosser Sicherheit im dümmsten Moment den dümmsten Pass spielen. Mein Team
gleicht in dieser Beziehung einem Indianerstamm, ich glaube einfach, dass zu
viele Leute sich und ihr Können überschätzen. Gegen Södertälje standen
jedenfalls diese „Indianer“ am Beginn unserer Niederlage. Södertälje spielte
sich nun in einen Rausch und am Schluss kassierten wir mit 10:5 gar ein
„Stängeli“. Immerhin stimmte dieses Mal der Kampf bis in die letzte Sekunde. Auf
dem Heimweg probierte ich dann mit kurzen Gesprächen jeden Spieler wieder
aufzubauen und nochmal darauf aufmerksam zu machen, dass wir nur mit einfacherem
Spiel zum Erfolg kommen.
Eine Woche später stand das Spiel gegen Sala Silverstaden an, auch sie hatten nur 3 Punkte. Das war ein kleiner Final (mit Galgenhumor kann ich da sagen, dass ich schon weitaus tollere Finals in meiner Karriere erlebt habe...). Ich liess mir einiges einfallen für die nächste Woche. Am Dienstag stellte ich, wie immer, das gegnerische Team vor, erzählte von einem Final, den ich gewonnen hatte und gab zwei Gründe an, warum wir diesen Final gewannen. Die Spieler erhielten als Aufgabe, im nächsten Training ebenfalls von einem gewonnen Final zu erzählen und zwei Gründe für den Erfolg zu erläutern. Damit erreichte ich, dass sich die Spieler wieder mal erinnern wie es ist zu gewinnen und gleichzeitig selber die Gründe für den Sieg herausfanden. Weiter machte ich mit der Mannschaft mentales Training, in welchem ich ein sehr agressives Bild mit einem agressiven Song verankerte. Damit erreichte ich, dass bei Ertönen des Songs oder bei Ansehen des Bildes automatisch die Verbindung zu Kampfgeist, Winnermentalität und einfachem Spiel hergestellt wurden. Diesen Song spielte ich kurz vor Beginn des Spiels und jedes Drittels. Wir spielten zwei Drittel lang recht gut und hatten unseren Gegner sicher im Griff, 5:2 als Resultat war die Folge. Als wir dann zu Beginn des dritten Drittels schon nach 40 Sekunden das 5:3 erhielten, wusste ich, dass wieder nichts mit einem ruhigen Schlussdrittel wird. Wir spielten weiter gut nach vorne - anstatt zum 6:3 traff Mass aber nur den Pfosten und im direkten Gegenzug kam das 5:4. So läuft es, wenn man in der Tabelle hinten ist! Ich nahm das Time-Out und zeigte das Bild, jeder war wieder voll fokussiert, wenig später schossen wir das vielumjubelte 6:4 und 7:4. Am Schluss stand es 8:5, und wir hatten endlich unseren ersten Sieg eingefahren. Obschon glücklich, war ich fix und fertig und nur noch müde. Das war Adrenalin pur und die ganze Vorbereitung hatte mich sehr viel Kraft gekostet. Ist es dieses Gefühl nach einem Sieg, für welches man das alles auf sich nimmt, dass man so hart zu sich selber und manchmal auch anderen sein muss? Fragen wie diese stelle ich mir hier öfters.
Eine Woche später stand der Cupviertelfinal gegen IBK Dalen
(Topteam Elitserie) an. Dalen reiste am Freitag mit dem Zug nach Göteborg (ca.
12 Stunden), spielte am Samstag ein Meisterschaftsspiel gegen Älvstranden,
reiste danach mit Zug in 8 Stunden direkt nach Sandviken und spielte am Sonntag
mittag um 12.00 Uhr gegen uns, um dann mit dem Zug nochmal 8 Stunden zurück nach
Umeå zu reisen. In der Elitserie zu spielen oder Trainer zu sein ist nochmal
eine Stufe höher, und ich bewundere diese Leute. Da entstehen die Spieler, die
dann mit manchmal fast spielerischer Leichtigkeit Weltmeister oder
Europacupsieger werden. Kein Wunder bei diesem Stahlbad...
Obschon wir
ansprechend spielten, verloren wir mit 4:9. Leider musste ich nach 25 Minuten
den Torhüter wechseln, weil er zwei „Pfützen“ bekam. Wäre noch wichtig, ein
guter Goalie in einem solchen Spiel.... Interessant war es, die Lösung gegen das
von Dalen konzipierte 1:3:1 System zu finden, was mir auch recht gut gelang,
Chancen kreierten wir jedenfalls genug.
Nun stehen noch zwei eminent wichtige Spiele an, bereits die
ersten der Rückrunde. Am Mittwoch gegen Västerås (Leader und der
Publikumskrösus, sie hatten kürzlich im Derby gegen Tillberga über 1´000
Zuschauer) und am Sonntag gegen den Drittplatzierten Trollbäcken zuhause. Da
müssen Punkte her, auch wenn das alles andere als einfach ist.
Natürlich
habe ich mir auch viele Gedanken über meine Fehler, die zu dieser schlechten
Tabellensituation geführt haben, gemacht. Zu lange wollte ich mit zu attraktivem
Unihockey zum Erfolg kommen. Attraktives Unihockey beinhaltet aber im Normalfall
auch eine höhere Fehleranfälligkeit. Da aber habe ich unser Team, wohl auch
aufgrund der guten Vorbereitung, zu gut eingeschätzt und genau diese
Fehleranfälligkeit zu wenig beachtet. Weiter liess ich mich zu lange von Leuten
besänftigen, die einen schlechten Start in Sandviken als normal ansehen und
praktisch schon sicher davon ausgingen, dass man dann schon noch zu Siegen
beginne. Und man sieht es auch an vielen schwedischen Spielern/Trainern in der
Schweiz: Es braucht einfach eine gewisse Akklimationszeit, um sich besser mit
den neuen Umständen zurechtzufinden, von der Sprache ganz zu
schweigen.
Nächsten Dienstag kehre ich für zwei Wochen in die Schweiz zurück und diese Rückkehr sehne ich, nachdem ich nun seit Ende Juli hier bin, wirklich herbei. Noch nie hatte „Heimkehr“ für mich eine so grosse Bedeutung. Freue mich riesig, alle meine Freunde in der Schweiz zu sehen und wieder mal ausschliesslich in meiner Sprache zu sprechen. Gespannt werde ich auch ein paar NLA-Spiele beobachten (krass wie schnell man vergisst, wie das dort war...) um dann in einem nächsten Bericht eventuell die Mutter aller Unihockeyfragen versuchen anzugehen: Was ist der Unterschied zwischen der Schweiz und Schweden?
Wusstet ihr
- Dass der Torhüter von Dalen im Tor steht und nur in Notfällen auf die Knie geht?
- Dass jedes Schiripaar, das wir bisher hatten, in der Schweiz sicher Nr. 3 oder 4 wäre (und wir spielen ja nur NLB)?
- Dass Stovreta IBK aus Uppsala einen Zuschauerdurchschnitt von über 2´000 hat?
- Dass in den regionalen Zeitungen Gefle Dagblad und Arbetarbladet am nächsten Tag nach einem Albapiel stets ein ausführlicher Matchbericht (meist mit Farbbild...) zu lesen ist?
So das wär´s wieder mal. Wünsche Euch schöne Festtage und
ein gutes 2003!