04.
2003
René Berliat vergleicht Unihockey in Schweden mit der Schweiz – Teil 2
Nun, wo liegen die Chancen und Bereiche, wo wir besser oder gleich gut wie die Schweden sein können:
Organisation/Planung
OK, sind
halt typisch schweizerische Tugenden und vielleicht nicht so beliebt und
spektakulär. Aber: Durch gute Organisation und Planung eines Trainings/Saison
oder einer Cluborganisation kann die Qualität von dem, was wir machen, massiv
gesteigert werden. Meines Erachtens haben viele Schweden grosse Mühe, etwas auf
längere Sicht zu planen, es lebe die Improvisation! Achtung: Die Improvisation
ist auch sehr wichtig und sie darf trotz guter Planung nicht vergessen werden
(im Spiel ist vieles Improvisation!). Aber wenn Improvisation nur noch nacktes
Chaos ist, geht einfach sehr viel unnötige Energie verloren, und es ist nur noch
peinlich. Und glaubt mir, das habe ich hier in Schweden genügend erlebt... Ich
glaube, das bessert hier erst, wenn den Schweden mehr Länder auf die Pelle
rücken.
Perfektion/Qualität
Nochmal
typisch schweizerische Tugenden. Darunter verstehe ich vor allem die Ausbildung
der Trainer und dann vor allem die konsequente Umsetzung des Gelernten in die
Trainings in den Vereinen. Ich weiss, dass das klappen kann, schliesslich habe
ich in Köniz als Verantwortlicher eine Juniorenabteilung aufgebaut, die auch in
Schweden absolut top wäre. Ich habe bei Alba auch schon Juniorentrainings
geleitet und dabei festgestellt, dass viele Juniorentrainer (öfters Väter der
Junioren) qualitativ und auch vom Fachwissen her sehr schlechte Trainings
machen. Ich darf mir nicht ausdenken, was die Schweden noch rausholen könnten,
wenn sie dort noch besser arbeiten würden... Da liegt auch bei ihnen noch sehr
viel Potential brach.
Aber trotzdem, wenn ich momentan bei den Trainern
den Vergleich mache sieht es so aus:
Im
schwedischen Unihockey hat es wenige Toptrainer, viele mittelmässige Trainer und
wenig schlechte. In der Schweiz hat es wenige Toptrainer, wenig mittelmässige
und viele schlechte. Das muss dringend ändern und ich hoffe, dass da die
Trainerschulungen des Verbandes schon greifen!
Athletikfaktoren
Klar sind die
Schweizer dort den absoluten Topspielern Schwedens immer noch unterlegen. Aber
ich glaube, dass dort aufgeholt wurde. Natürlich passiert auch bei den
Athletikfaktoren einiges in der Jugendzeit (Koordination, Laufschulung,
Kräftigung spez. Rumpf), was später schwerlich aufgeholt werden kann, aber: Das
Training der Athletikfaktoren ist eine Fleisssache und damit hat das jeder
selber in der Hand, speziell im Aktivenalter! Aber eben, alle Athletik nützt
nicht viel, wenn man das Spiel nicht versteht und einfach wie wild im Spielfeld
rumrennt.
Wirtschaftliche
Faktoren/Geld
Wenn man es mit den finanziellen Verhältnissen der
meisten schwedischen Vereine und vor allem des Verbandes vergleicht, stehen wir
in der Schweiz recht gut da. Die schwedische Herren-Nationalmannschaft musste
zum Beispiel die Februarländerspiele wegen finanzieller Engpässe des Verbandes
absagen. Der schwedische Natitrainer Kokocha lässt keine Gelegenheit aus, sich
über die wenigen Zusammenzüge sowie über sein Nebenamt zu beklagen (vom
Profistatus, den Urban Karlsson hat, träumt er nur). Die cleveren Vereine der
Schweiz investierten in den vergangenen Jahren ihr Geld in die Ausbildung und
die Junioren und können jetzt die verdiente Ernte einfahren. Unser Unihockey
kann nur von unten her besser werden. Bin gespannt was die wohl kommende totale
Öffnung punkto Ausländer bringen wird. Mir schwant nicht nur Gutes, das Geld
wird fortan wohl vor allem dorthin fliessen, sobald der erste Verein mit
mehreren Ausländern Erfolg haben sollte...
Flächenmässige Grösse des
Landes/Zusammenarbeit
Ja, das kann ein grosser Vorteil sein.
Wenn wir zusammenarbeiten, gerade im Bereich der Nationalteams, haben wir
massive Vorteile gegenüber Schweden. Ich glaube, dass es einfacher ist, wenn
fast alle Orte innerhalb von 3, 4 Stunden erreichbar sind. In Schweden sind es
vom nördlichsten bis südlichsten Punkt ca. 2000 Kilometer... Die Gefahr ist
natürlich, dass wir in der Schweiz einander auf die Nerven gehen, weil alles so
nah beieinander liegt und man immer die gleichen Köpfe sieht und oftmals die
Gefahr von Vetterliwirtschaft besteht (gerade in den Auswahlen, habe das aber
hier in unserem Distrikt Gästrikland auch schon erlebt...). Ich hatte in den
vergangenen Jahren viele Spieler in diversen Nationalteams. Natürlich war ich
auch nicht immer mit jeder Entscheidung und der jeweiligen Spielphilosophie der
Auswahltrainer einverstanden. Ich kann aber mit gutem Gewissen behaupten, bei
Problemen stets das Gespräch mit den Trainern gesucht oder zumindest meine
Spieler im Interesse des Schweizer Unihockeys immer wieder motiviert zu haben,
ihr Bestes zu geben. Ich glaube wenn dort alle Beteiligten in Zukunft mehr im
Interesse des Schweizer Unihockeys handeln würden anstatt unnötige
Schlammschlachten zu inszenieren, brächten wir schon mal dieses unbedingte
Zusammenhalten zustande, das es nun mal braucht, um eine Sensation gegen
einen von den Voraussetzungen her massiv besseren Gegner (sprich Sieg
gegen Schweden oder Finnland) zu erreichen.
Mentale Stärke /
Kämpferherzen
Klar, ich denke, dass in der Breite des Kaders in
Schweden mehr Spieler es wirklich hassen zu verlieren. Aber ich habe auch in der
Schweiz Spieler und einige Trainer (z.B. Berger/Brendler/Düggeli/Wolf)
kennengelernt, die sich punkto mentale Stärke und Kämpferherzen absolut nicht
verstecken müssen. Die Umstände mit Schule und Job sind in der Schweiz meist
härter, und wer sich dort durchbeissen kann, sollte eigentlich auch im Sport
belastbarer sein. Habe schon öfters in Schweden die Erfahrung gemacht, dass
viele Leute nicht sehr belastbar sind (ein Spieler meiner Mannschaft hat sich
eben mal einen Monat wegen Gefahr „Burn-Out“ im Job krankschreiben lassen und
das geht hier ohne grosse Probleme...). Die Nachteile des Sozialstaates - für
jedes kleinste Problem gibt´s einen Betreuer oder irgend einen Ausweg. Es sei
einfach hier mal gesagt: Auch die Schweden kochen nur mit Wasser, einfach ein
wenig mehr in unsere Fähigkeiten vertrauen und nicht immer nur die Probleme
sehen (muss da manchmal auch hart an mir arbeiten). Der Schweizer hat einfach
auch ein extremes Sicherheitsbedürfnis, ja nichts riskieren, immer den sicheren
Weg im Leben gehen. Das ist halt schon nicht die Einstellung, um ganz an die
Spitze zu gelangen.
Körperspiel
Ein riesiger
Unterschied. Es wird im Norden viel mehr mit dem ganzen Körper gespielt und von
den Schiedsrichtern auch toleriert. In der Schweiz beherrschen viele Spieler das
Körperspiel überhaupt nicht, was dann öfters zu unkontrollierten, gefährlichen
Attacken führt. Auch hier denke ich, dass das Körperspiel in Schweden vor allem
im Jugendalter durch die sportliche Vielseitigkeit automatisch viel besser
gelernt wird (Eishockey, Fussball, Basket etc.).
Austeilen/Einstecken/Fairness
Ich
weiss nicht, ob es damit zusammenhängt, dass die Schweiz südlicher liegt und das
Temperament der Spieler/Trainer einfach ein wenig höher ist (was ich aber
überhaupt nicht als Nachteil empfinde, es führen bekanntlich verschiedene Wege
nach Rom). Aber die Fähigkeit, nicht nur auszuteilen sondern auch einzustecken,
scheint mir im Norden schon grösser. Es gibt nicht in jedem Team 3, 4 Heulsusen,
die wirklich bei jeder kleinsten Berührung gleich aggressiv werden und dann
unkontrollierte Tätlichkeiten und Kniestiche als Antwort verteilen. Oder
unzählige Male pro Spiel beim Schiri reklamieren... Ich denke, dass einfach in
Schweden die interne Kontrolle besser funktioniert. Das heisst, dass sich
Teamkollegen und Trainer diese Sündenböcke im Team gleich selber vornehmen und
für Ordnung sorgen. Das rührt wohl auch daher, dass die „Erziehung“ zu
sportlichem Verhalten von den meisten Juniorentrainern in Schweden sehr ernst
genommen wird. Leider stelle ich da in der Schweiz an Juniorenturnieren in
letzter Zeit sehr negative Tendenzen fest. Negativer Höhepunkt war ein Turnier,
wo ein B-Juniorenspieler seinen Stock nach einem Einsatz ca. 10 Meter weit weg
warf und der Trainer dem Spieler den Stock blitzschnell holen ging... Freut euch
auf diesen Junior im Aktivenalter!
Schiedsrichter
Ja, auch dieses
Thema muss angesprochen werden und ich habe mich bis vor einem Jahr sogar aktiv
in einer Regelgruppe engagiert (für all die jetzt denken „auch einer der nur
über die Schiris motzen kann anstatt was zu tun“).
Wer ein Spiel
pfeift, sollte versuchen dieses Spiel zu verstehen!
Genau das
gleiche Problem wie bei vielen Spielern, nur noch viel eklatanter. Die
Unterschiede sind riesig, die Schiris in Schweden wirklich massiv besser. Über
dieses Thema könnte man separat ein Buch schreiben...
Nur ein paar Beispiele
(von unzähligen) warum ein Schiri ein Spiel auch ein wenig verstehen sollte und
es nicht reicht, das Regelbuch auswendig zu lernen oder sich bei jedem Pfiff
darauf zu berufen.
- Eine Mannschaft lässt sich immer in 2:1 Situationen an der
Bande reinmanövrieren. Gepfiffen wird fast immer für den ballführenden Spieler,
kaum berührt in einer leicht (speziell in Juniorenspielen schlimm). Eine
Mannschaft die sich immer in diese Situationen manövrieren lässt, begreift das
Spiel nicht. Dafür sollte sie nicht noch stets mit einem "Entlastungspfiff"
belohnt werden.
- Mit Spielemotionen lernen umzugehen. Ein Gefühl
entwickeln, wann alles locker gesehen werden kann oder wann wirklich hart
eingegriffen werden muss (da sind die schwedischen Schiris wirklich unglaublich
gut). Da werden durchaus locker Sprüche gemacht, mit Trainern und Spielern
gesprochen, ohne dass es eine peinliche Anbiederung ist. Aber die Schiris können
wirklich von einer Sekunde zur andern unglaublich konsequent und deutlich
werden, wenn es die Situation erfordert. Ein Eliteschiri hat mir mal grauenhaft
die Leviten während des Spiels gelesen (hab zum Glück nicht alles
verstanden...), als ich immer wieder reklamiert habe... In der Pause kam er aber
schon wieder mit einem lockeren Spruch zu mir, und der Rest des Spiels war kein
Problem.
- Folgende Szene sah ich über Weihnachten bei einem NLA-Spiel: Ein
hoher Ball kommt in den Slot, ein Stürmer versucht in ganz klar zu hoch mit dem
Stock abzunehmen (ca. Hüfthöhe), er trifft aber bei diesem Versuch keinen
Gegenspieler. Der Schiri pfeift zurecht den hohen Stock, aber nun kommt das
Schlimme: Er gibt dafür 2 Minuten.... Ca. 5 Minuten später versucht der gleiche
Spieler energisch mit dem Ball in den Slot zu kommen und arbeitet dabei heftig
mit dem ganzen Körper. Wenn man ganz böse will kann man ein Stürmerfoul pfeifen,
für mich war das aber ganz normaler Einsatz im Slot. Der gleiche Schiri gibt
wieder 2 Minuten... Per Zufall ist dieser Stürmer auch in der Nati. Ich behaupte
mal, dass der nach diesem Spieltag 2 Spiele lang nicht mehr allzu viel im Slot
macht. Die „Quittung“ wird er dann beim nächsten Länderspiel bekommen,
international geht es da anders zur Sache und für diese "Vergehen" wird es ganz
sicher keine 2 Minuten geben, weil der Schiri das Spiel versteht und weiss, dass
es im Slot ein wenig härter zur Sache geht...
Ich bedaure, dass in der Schweiz nicht mehr (gute) Spieler, die ihre Karriere beenden, die Schiedsrichterlaufbahn einschlagen. Ich glaube, dort wäre das Spielverständnis und das Gefühl für die Emotionen der Spieler besser vorhanden und das Spielniveau könnte durch regelmässige untadelige Schiedsrichterleistungen massiv erhöht werden. Auch die Schweiz kann Weltklasseschiris rausbringen, Baumgartner/Baumgartner haben das bewiesen. Aber diese zwei sind das beste Beispiel, wieviel man mit grosser Persönlichkeit und Fingerspitzengefühl erreichen kann.
So, das wär´s von diesem Vergleich, ich muss aufhören, mir
kommen schon wieder neue Sachen in den Sinn... Ich hoffe sehr stark, dass mein
ehemaliger Dozent in Magglingen unrecht behält und die Schweiz auch in 10 Jahren
noch an der internationalen Spitze der Mannschaftssportart Unihockey dabei ist!