12.
2008
Der nackte Judoka
Schon 10 Jahre sind seit der letzten WM in Prag vergangen und die „Helden" von damals sind alle ein bisschen alt geworden. Trotzdem glaube ich, dass die WM-Truppe 98 nach einigen intensiven Trainings manchem SML-Team in einem einzelnen Spiel immer noch ein Bein stellen könnte. Schliesslich sind einige ja immer noch aktiv (Tönz, Capatt, Tom Weber als letzte Mohikaner) ...
Mehr als zehn Jahre ist es also her, dass die Schweiz erst- und letztmals in einen WM-Final einzog, ein schönes Jubiläum eigentlich. Den Verband scheint das allerdings nicht zu interessieren. Eigentlich hätte ich schon erwartet, dass der Verband die damalige WM-Truppe mal gemeinsam an einen Verbandsanlass einlädt oder eine „Klassenzusammenkunft" organisiert. Ich verlange ja nicht, dass alle damaligen Teammitglieder an die diesjährige WM in Prag eingeladen werden, das wäre dann doch etwas übertrieben... Es wäre aber bestimmt äusserst amüsant, in den guten alten Zeiten zu schwelgen und nicht zuletzt die geniale WM 98 nochmals Revue passieren zu lassen.
So gebe ich denn halt einige kleine Episoden auf diesem Weg preis, um einen Einblick zu geben, wie und warum wir es damals bis ins Finale schafften. Schlüssel für unseren Erfolg (und eine Silber-Medaille an einer WM darf trotz zahlreichen Forum-Besserwissern als solcher angesehen werden) war einmal eine sehr gelungene Vorbereitung. Nach gewissen Anlaufschwierigkeiten an den World Games in Lahti, wo Cat im Schweden-Spiel aus Enttäuschung über ein vom frisch eingewechselten Rot-Weiss-Block einkassiertes Freistoss-Tor (altbekannte Östlund-Variante) einen Stuhl aufs Spielfeld spediert hatte, ging es stetig aufwärts. Nach einem starken Dreiländerturnier in Zürich im November 1997 stand das Gerüst der Mannschaft und der Glaube, die Finnen und Schweden schlagen zu können, war von diesem Zeitpunkt an in der Mannschaft präsent. Der legendäre Zusammenzug in Kladno vom Februar 98 (Cat zu Spielern, die sich über das absolut ungeniessbare Essen in einem tschechischen Altersheim beklagten: „Tüand nit so, as isch wia dahai!") diente dann vor allem der Förderung des Teamgeistes. Im fünftägigen Trainingslager in Disentis unmittelbar vor dem WM gings dann ganz schön zur Sache und unser Block (Weber/Ogg/T. Engel/Capatt/F. Bösch) wurde vom Block Ebneter/Th. Weber/A. Engel/Buser/Telli ziemlich zerzaust. Was angesichts der teilweise recht emotionalen Protagonisten im erstgenannten Block zu gewissen Unmutsäusserungen geführt hat...
Mit der Gewissheit über drei starke, eingespielte Blöcke, mehrere Führungsspieler und einen hervorragenden Teamgeist zu verfügen, reisten wir an die WM. Die Vorrunden-Spiele unserer Gruppe fanden in Brünn statt. Während unser Hotel sämtliche wünschenswerten Vorzüge aufwies (u.a. Disco mit ziemlich freizügigen Animierdamen), waren Halle und Organisation in Brünn nur bedingt WM-würdig. Als wir uns beispielsweise in der sehr rustikalen Garderobe auf unser erstes Spiel vorbereiteten, kam plötzlich ein tschechischer Judoka herein, zog sich ungeniert aus und begab sich unter die Dusche. Wir Spieler schauten uns nur verdutzt an...
Im ersten Spiel gegen die Schweden kamen wir dann bös unter die Räder, was den damaligen Geschäftsführer Renato „Gates" Orlando auf der Tribüne zu den Aussagen verleiten liess, dass „ausser Thomi keiner zu gebrauchen" sei und Mark Wolf endlich „seine Handschuhe ausziehen soll". Das anschliessende Schlüsselspiel gegen Gastgeber Tschechien gewannen wir absolut souverän mit 5:0; der Druck, nach der WM 96 erneut in der Vorrunde zu scheitern, war enorm gewesen. Das Team bewies in diesem entscheidenden Spiel aber seine Charakterstärke.
Nach dem Einzug in den Halbfinal und dem Umzug nach Prag, holte mich Cat vor dem Halbfinal gegen Finnland zu sich und wollte von mir wissen, weshalb die Schweiz bis jetzt an den Titelkämpfen die entscheidenden Spiele immer verloren habe. Meiner Meinung nach war es eine reine Kopfsache, dass nämlich der hinterste und letzte im Team daran glauben müsse. Cat fand dann in der Spielvorbereitung genau die richtigen Worte, ohne eine Himalaya-Besteigung oder sonstigen Hokuspokus zu inszenieren. Eine klare, authentische Ansprache, die jeden Spieler erreichte.
Das Halbfinale gegen Finnland war dann ein epischer Match, mit Führungswechseln, Chancen hüben und drüben und spätem Ausgleich der Finnen. Und natürlich dem unglaublichen Penalty-Schiessen u.a mit Täkha's Frechheit und Capatt's Coolness. Typisch für Cat war, dass er als ersten Spieler in der zweiten Penalty-Runde Nils aufstellte, obwohl dieser seinen ersten Versuch vergeben hatte. Jeder andere Trainer hätte einen Spieler genommen, der seinen ersten Penalty verwertet hatte. Ich übrigens auch... Cat kannte aber seine Spieler genau und wusste, wer dem Druck standhalten würde. Nachdem Nils mit der gleichen Variante, mit der er im ersten Versuch gescheitert war, getroffen hatte, und Wolf den Versuch von Öhman pariert hatte, gab es kein Halten mehr. Alle warfen sich auf den bemitleidenswerten Mark, keine Ahnung, wie er das überlebt hat. Fluppi Bösch zog das Dress aus und tanzte mit nacktem Oberkörper um den Menschenknäuel... Der Moment, in dem Mark den Penalty hielt, war einer der schönsten meiner Karriere: ein unglaubliches Gefühl, einfach sensationell! Auch zehn Jahre später läuft es mir kalt den Rücken runter, wenn ich daran denke oder mir das Video von diesem Klassiker anschaue.
Im Car auf dem Weg zurück ins Hotel stimmten wir dann in Anspielung auf Orlando's Aussagen nach dem Vorrunden-Spiel gegen die Schweden die Lieder „Ausser Thomi könnt ihr alle gehen!" und „Zieht dem Wolf die Handschuhe aus!" an. Der ebenfalls im Car anwesende „Gates" Orlando hatte keinen blassen Schimmer, was wir da sangen...
Die Vorbereitungszeit für den Final gegen Schweden war sehr kurz, doch wir waren von Anfang an bereit und spielten ein brillantes erstes Drittel. Bis zur 30. Minute konnten wir das Spiel offen halten, danach „killte" uns die schwedische Effizienz. Am Schluss gab es eine 3:10-Packung; dennoch war es ein schönes Erlebnis in einem WM-Final zu spielen, und wir durften die altehrwürdige Slavia-Halle mit erhobenem Kopf und der Silber-Medaille um den Hals verlassen (ausser Dan, der diese bekanntlich gegen eine Dose Snus eingetauscht hatte).
Anschliessend ging es noch in voller Montur zurück ins Hotel, wo im Pool im 30. Stock die Party so richtig abging. Sämtliche Betreuer und Verbandsfunktionäre wurden gepackt und in den Pool geworfen. Nur der damalige Finanzchef Roger Marty wehrte sich nach Kräften und verpasste Pierin „Mous" Menzli einen Tritt zwischen die Beine. Chris Buser sprach Marty fortan nur noch mit dem Namen „Karate Kid" an... Nachdem sich die Gemüter wieder etwas abgekühlt hatten, hielt der Verbandsboss Sterchi Max vor dem Bankett vor versammelter Delegation und Fans seine Kultrede, in welcher er Cat „Marc Cathomen" und dessen Assistenten Daniel Sabathy „Daniel Sabatini" nannte. Derselbe Sterchi, der uns an der WM 96 nach dem Kehraus-Spiel gegen Russland um den 5. Platz in der Garderobe zum guten Abschneiden an der WM gratuliert hatte...
Ich habe gestern noch mit Dan Telli über die WM 98 gesprochen und es kommen einem immer wieder solche kleinen Episoden in den Sinn, die diese Woche so unvergesslich machen. Wir hatten damals wirklich eine klasse Truppe mit mehreren Führungsspielern (Weber, Buser, Telli, Bösch, Bösch, Wolf, Engel, Engel u.a.), aber auch die Bankspieler waren Leute mit Charakter (Luginbühl, Schaumi Lüthi), die sich nahtlos ins Team einfügten. Und Cat war halt einfach ein Trainer, der im entscheidenden Moment immer die richtigen Worte fand und die richtigen Entscheidungen traf.
Für die bevorstehende WM bin ich, was die Nati betrifft, ziemlich zuversichtlich. Das Aufgebot stimmt und die Truppe ist eingespielt. Wenn die Form der Schlüsselspieler (Ph. Gerber, Hofbauer, Hofbauer, Gerber, Antener, Stucki, Dysli, Bill) passt, glaube ich daran, dass der Finaleinzug möglich ist. Aber zu weit voraus schauen, bringt nichts: Das Schlüsselspiel wird in der Vorrunde der Match gegen die Norweger sein, das könnte eine harte Nuss werden. Wenn aber das Halbfinale erreicht wird, spielt es überhaupt keine Rolle, wer der Gegner ist. Entscheidend wird allein sein, dass das Team wirklich an den Sieg glaubt, auch wenn der Gegner dann Schweden heissen sollte. Den ersten Sieg gegen die Schweden überhaupt ausgerechnet in einem WM-Halbfinal zu landen, wäre doch genial! Warum auch nicht, mein Topfavorit für den WM-Titel sind dieses Jahr jedenfalls die Finnen und nicht die Schweden.
Weitere Erinnerungen an die WM 1998 lesen Sie im aktuellen Printmagazin von unihockey.ch. Für uns blicken Tom Weber, Alex Matt, Mark Wolf, Radim Cepek und Vesa Punkari zurück. Bestellen Sie das aktuelle Magazin HIER. |