Der doppelte Kern
Die Mission beim HC Rychenberg ist noch nicht beendet und schon wartet die nächste Aufgabe als Nationaltrainer der Frauen. Rolf Kern fährt zweigleisig.
Alles begann auf Winterthurer Quartierstrassen. Rolf Kern, sein Bruder Christian (der oft ins Tor musste), Adrian Wichser (der spätere Eishockey-Internationale) und andere Jugendliche massen sich im Inline-Hockey. Bis Kerns Mutter meinte, es sei doch mühsam, immer die Jungs zusammenzutrommeln und der Adi gehe doch ins Eishockey - warum nicht auch dem Eishockeyclub oder einem Unihockeyverein beitreten? Also schloss sich der junge Rolf dem HC Rychenberg an. Mitten in der Saison kam er zu den vom NLA-Verteidiger Roger Pfiffner trainierten B3-Junioren, stieg nach einem halben Jahr zu den Elite-Junioren (heute U21) auf und debütierte ein Jahr später als 17-Jähriger bereits in der NLA. Nach fünf Saisons beim HCR wollte der klassische Zweiwegcenter mehr und wechselte zum damaligen Serienmeister Rot-Weiss Chur - eine Zeit, die ihn bis heute prägt.
Nach sechs Jahren im Bündnerland kehrte er nach Winterthur zurück und hängte vier Saisons später den Stock an den Nagel - um kurz darauf als 32-Jähriger noch für eine halbe Saison ein Comeback zu geben. Vier Meistertitel mit Rot-Weiss, vier Cupsiege (drei mit Rot-Weiss, einer mit Rychenberg) und zwei Bronzemedaillen an den Weltmeisterschaften 2000 in Norwegen und 2002 in Finnland. Eine Spielerkarriere, die sich sehen lassen kann.
Einstieg ins Trainergeschäft
Nach dem Rücktritt begann Rolf Kern die freie Zeit mit Jogging zu verbringen. So intensiv, dass er bald zehn Kilo leichter war. Sein damaliger Chef fragte ihn gar, ob er krank sei und rief besorgt den Vater an. So nahm Kern einen gemütlicheren Zeitvertreib in Angriff und gründete mit Philippe Soutter einen Pétanque-Club, um in Winterthurs Stadtpark mit schwereren Kugeln als bis anhin zu spielen. Schon bald verschlug es diesen Klub einmal pro Woche in eine Halle, um Unihockey zu spielen - und Soutter fragte, ob er bei Floorball Thurgau Assistent bei der U18 werden wolle. Der Einstieg ins Trainergeschäft. Die beiden fanden sich später bei der italienischen und deutschen Nationalmannschaft wieder und erreichten an der WM 2012 mit Deutschland sensationell den vierten Platz.
2008 übernahm Kern die Red Ants. Nach einer ersten Spielzeit ohne Titel holten die Winterthurerinnen drei Cupsiege in Folge und 2011 den bis heute letzten Meistertitel. Nach vier Saisons blieb Kern zwar in der gleichen Halle, wechselte aber den Verein und von den Frauen zu den Männern. Die aktuelle Saison ist seine vierte beim HC Rychenberg. Die zweitletzte? Im Januar 2016 wurde der 40-Jährige zum Nationaltrainer der Frauen berufen. Trotzdem will er nächste Saison weiterhin auch Rychenberg-Trainer bleiben, weil die «Mission noch nicht beendet» sei. Funktioniert eine solche Doppelbelastung, zumal der zweifache Vater weiter zu 100 Prozent als Verkaufsleiter des 1934 gegründeten Familienbetriebes «Kern + Schaufelberger» (Radio-TV-Fachgeschäft) arbeiten will?
INTERVIEW MIT ROLF KERN
Beginnen wir am Ende des letzten Jahrtausends und dem Transfer zu Rot-Weiss Chur.
Rolf Kern: Die Winnermentalität im Team hat mich stark beeinflusst. Zeitweise hatten wir elf Nationalspieler im Team, viele Trainings waren härter als die Spiele am Wochenende. Und auf Zürcher wie mich hat man nicht gewartet - ich musste mich durchsetzen. Auch einen Job zu finden war nicht leicht, denn bei den Vorstellungsgesprächen in Chur hiess es jeweils, dass ich mit meinem Zürcher Dialekt keine Chance habe. «Das geht gegenüber unseren Kunden nicht», wurde mir gesagt. Letztlich fand ich einen Job in Liechtenstein, da war man toleranter.
Warum der Wechsel ins Bündnerland?
Ich kam durch die Nati auf den Geschmack und suchte diese Herausforderung. Zu Beginn war es ein Kulturschock. Für Typen wie Reto Weber, Tom und Andrea Engel oder Livio D'Intino waren Niederlagen keine Option.
Kern kletterte auf den Balkon des Nachbarn - darf er, hat er seinem Spieler Felix Buff die Wohnung doch auch vermittelt. Die Stühle sind entsprechend in den HCR-Farben gehalten. (Bild: Damian Keller)
Fehlen solche Typen heute in der NLA?
Ja, es gibt heute weniger Routiniers mit diesem Charakter. Ich erinnere mich an den von Torpedo Chur gekommenen Urs Felix. Mit ihm hat kein Journalist ein Interview geführt, aber in einer Meistersaison hätte er alle Medaillen des Teams verdient gehabt. Er spielte nicht immer, war aber mit seiner Einstellung unglaublich wertvoll. In einer anderen Saison hatten wir mit Stars wie Conny Svensson und Flurin Bösch zu viele Häuptlinge - wir wurden zwar Meister, waren aber kein echtes Team.
Keiner der genannten Spieler ist heute Trainer im Spitzenbereich, du schon.
Andrea Engel und Reto Weber waren es mal, D'Intino auch kurz. Tom Engel war nie einer, der in der Garderobe die grossen Reden hielt, er riss dafür auf dem Platz alle mit. Ruedi Kunz war mit seiner Aura ein hervorragender Trainer und wurde später Präsident des Vereins. Mir gefiel es schon als Spieler, mich zu fragen, was man tun kann, dass der Gegner reagieren muss. Und ich wollte die Emotionen und Erlebnisse, die ich durch den Sport hatte, weitergeben.
Wie bringt man einem Team eine Siegermentalität bei, wie sie Rot-Weiss hatte?
Entscheidend ist, wie wichtig der Sport den Spielern ist - fehlt es daran, wird es schwierig. Nur kann man sich nicht vor die Spieler hinstellen und sagen: Unihockey muss dir wichtiger sein. Als Trainer muss ich das vorleben. Mir hat gefallen, was Christian Kjellman in der letzten Ausgabe von unihockey.ch über René Berliat sagte: Wenn der Trainer sich voll einbringt, müssen dies die Spieler auch tun. Zur ultimativen Winnermentaliät braucht es aber Erfolg. So gesehen ist das eine Huhn-Ei-Diskussion - was kommt zuerst, die richtige Einstellung oder der Erfolg? Es ist kein Zufall, dass erst drei Vereine Meister wurden.
Welche Philosophie hast du als Trainer?
Philosophie ist ein schönes Wort. Ich predige oft, dass sich die Spieler überlegen müssen, was sie auf dem Platz warum machen. Zudem war es mir immer wichtig, eng mit dem Sportchef zusammenzuarbeiten und zu analysieren, was es für den Erfolg braucht. Als ich bei den Red Ants anfing, stellten wir fest, dass wir ein besseres Defensivkonstrukt und eine starke Torhüterin brauchen - also gingen wir 2009 mit einem Einkaufszettel an die WM in Västeras und verpflichteten die Tschechin Jana Christianova.
Ausländer verpflichten als Rezept? Bei Rychenberg spielen heute fünf Ausländer.
Moment. Als ich zum HCR kam, war es zu Beginn nicht einfach, da in der Vorsaison drei Finnen tun und lassen konnten, was sie wollten. Nach einer Anpassungsphase stellten wir einen «Business-Plan» über drei Jahre auf, wobei wir uns jetzt im zweiten Jahr befinden. Wir sahen, dass wir in jeder Saison die Besten schlagen und gegen die Schlechtesten verlieren können. Darum war es uns wichtig, mit Weltmeister Kari Koskelainen, dem schwedischen Meister Fredrik Holtz und dem tschechischen Meister Michal Podhrasky Leute zu verpflichten, die wissen, wie man Spiele gewinnt. Aber 14 Spieler unseres Kaders sind Eigengewächse. Und mehr als fünf Ausländer werden wir auch nächste Saison nicht haben.
Trotzdem schafft es Rychenberg noch immer, Wiler zu schlagen und gegen WaSa zu verlieren.
Zunächst: Wir haben diese Saison erst zwei Spiele nach 60 Minuten verloren. Wir sind konstanter geworden. Es stimmt aber, dass wir Spiele in den Schlussminuten und in der Verlängerung aus der Hand gegeben haben. Am meisten ärgerte mich das 7:8 gegen Köniz, als wir nach dem ersten Drittel 5:0 vorne lagen.
Sportchef Patrick Albrecht hat im Vereinsorgan einen Titel zur Pflicht erklärt. Nach dem Aus im Cup-Halbfinal muss der HCR jetzt also Meister werden.
Das war etwas überspitzt formuliert, doch man kann ja nicht einfach die Playoffquali zum Ziel erklären. Nochmals: Wir haben analysiert, was es braucht, um erfolgreicher zu sein - und diesen Plan arbeiten wir ab.
Wie lautet dieser Plan?
Erstens wollen wir auf den Nachwuchs setzen und diesen im Förderkader mit der NLA mittrainieren lassen - dazu braucht es gute Trainings mit vier kompletten Blöcken. Zweitens braucht es Leader, die schon in den Trainings den Takt angeben - deshalb die Verpflichtung der Ausländer. Ich kann als Trainer lange reden, jemand muss es auf dem Platz vorleben.
Zwischenfrage dazu: Wie werden solche Ausländer finanziert? Rychenberg klagte über Jahre, das kleinste Budget aller NLAVerein zu haben.
Zahlen werde ich keine nennen. Aber Albrecht und ich haben uns auf die Socken gemacht und mit etwas Glück Gönner gefunden, die an unseren Plan und uns als Personen glauben. Darum kann ich jetzt trotz Frauen-Nati den Bettel nicht einfach hinwerfen.
Über den Dächern von Winterthur schmiedet Rolf Kern Zukunftspläne. (Bild: Damian Keller)
Zurück zum Plan. Was braucht es noch?
Im physischen Bereich beschritten wir mit Michi Niederer und einem vom Football abgeänderten Programm neue Wege. Wenn du physisch besser als der Gegner bist, gibt dir das ein gutes Gefühl. Deshalb war ich schon immer ein Fan von harten Sommertrainings. Ich erinnere mich an die erste Einheit bei den Red Ants - einige Spielerinnen weinten fast, überwanden aber den inneren Schweinehund. Beim HCR war es auch so. Nur einen Spieler, dessen Name mir entfallen ist, sah ich nach dem ersten Training nie mehr (lacht).
Und der mentale Bereich?
Einer meiner Lieblingsbegriffe lautet Spiegelneuronen. Damit meine ich: Mit seinem Verhalten beeinflusst man sein Gegenüber. Ein Beispiel: Als wir mit dem HCR in der vorletzten Saison das erste Viertelfinalspiel gegen Wiler 2:11 verloren, sagte ich dem Team in der Kabine: Jetzt gehen wir da raus und tun so, als ob wir gewonnen hätten. Ich will keine hängenden Köpfe sehen. Das wird den Gegner stören, der meint, uns entmutigend hoch geschlagen zu haben. Wir gewannen die nächste Partie und die Serie.
Der Halbfinal gegen Malans ging aber verloren. Was war da mit den Spiegelneuronen?
Manchmal ist ein Team mental einfach leer. Nach dem Ausschalten von Wiler war das so. Auch nach einem Cupsieg mit den Red Ants, als wir im Playoff-Final keine Chance mehr hatten. In dieser Saison geschah es nach dem Sieg über Wiler vor 2000 Fans in der Eulachhalle - das Team war am Tag danach im Cup-Halbfinal gegen GC nicht mehr auf der Höhe. Gegen Wiler waren die Köpfe nach Gegentoren oben, gegen GC sofort unten. Da kann man nur noch hilflos zusehen.
Gibt es keine geheimen Motivationstricks?
Natürlich arbeite ich gerne mit Bildern....
Lesen Sie in der gedruckten Ausgabe, warum Kern einmal jeder Spielerin im Kader eine Uhr schenkte - und was man tut, wenn kurz vor der Abfahrt zu einem Finalspiel das geplante Motivations-Tool sprichwörtlich den Geist aufgibt.