Im Auge des Tigers
Müde blinzeln die Löwen in René Stricklers Raubtierpark in die Mittagssonne und geniessen die Wärme an einem der letzten schönen Oktobertage. Für einmal verlegen wir unser Foto-Shooting nach draussen. Wer bei den Unihockey Tigers spielt, muss auch mit einem Tiger posieren. Im Park ist wenig Betrieb zu spüren. Die Mägen sind gefüllt und Besucher kommen erst am Nachmittag. Mit Markus Gerber schauen wir uns vor dem Shooting «sein» Wappentier aus sicherer Distanz an. «Schau dir diese Pranken an» raunt er ehrfurchtsvoll. Artikel lesen
Im Auge des Tigers
Nach sechs Länderspielen konnte sich Markus Gerber bereits bester Spieler der Schweiz nennen. Sagen jedenfalls die internationalen Experten.
TEXT: RETO VONESCHEN
FOTOS: ANITA TROLLER
Müde blinzeln die Löwen in René Stricklers Raubtierpark in die Mittagssonne und geniessen die Wärme an einem der letzten schönen Oktobertage. Für einmal verlegen wir unser Foto-Shooting nach draussen. Wer bei den Unihockey Tigers spielt, muss auch mit einem Tiger posieren. Im Park ist wenig Betrieb zu spüren. Die Mägen sind gefüllt und Besucher kommen erst am Nachmittag. Mit Markus Gerber schauen wir uns vor dem Shooting «sein» Wappentier aus sicherer Distanz an. «Schau dir diese Pranken an» raunt er ehrfurchtsvoll. Zum Glück trennen uns dicke Gitterstäbe von dem prächtigen Tiger. Tierpfleger Wyss nimmt uns etwas wortkarg in Empfang. «Der Chef musste kurzfristig an eine Sitzung nach Rapperswil» erklärt er uns knapp. Fotos hinter den Gittern seien nicht möglich, zu gross sei das Risiko. Für unsere Aufnahmen verspricht er aber, einen jungen Tiger an den Käfigrand zu locken. «Kann er mit den Tatzen zwischen den Gitterstäben hindurchgreifen?» - Gerbers Skepsis war buchstäblich greifbar. «Vielleicht nicht zu nahe an das Gitter stehen» lautete die wenig beruhigende Antwort. «Kusli» Gerber stellt sich trotzdem mutig vor den Käfig und der mit einem Unihockeystock angelockte «Alyosha» macht hinter ihm das Männchen. Ein imponierendes Bild. Nach einer Stunde ist das Spektakel vorbei und Gerbers Scheu verschwunden. Beinahe zärtlich krault er seinen «Fotopartner» durch die Gitterstäbe den Nacken - die Idylle stört nur «Aysha» welche mit Gebrüll ebenfalls Streicheleinheiten einfordert. Weibchen brauchen wohl einfach mehr Aufmerksamkeit...
Neuer Chef im Rudel
«Wir können viel von Tieren lernen», erzählt Wyss beim Kaffee. «Die Hierarchie im Tigerrudel ist sehr patriarchisch. Ein junges Männchen greift den Chef nur an, wenn es spürt, dass es stärker ist.» Parallelen zu den Unihockey Tigers sind auf den ersten Blick ersichtlich. Die grossen Männer aus Zäzi-Gou Zeiten, wie Stefan «Schaumi» Lüthi und Benjamin Lüthi sind seit dieser Saison nur noch in der 1. Liga tätig. Neu trägt Markus Gerber die Captainbinde. «Der Übergang lief aber viel reibungsloser als herum erzählt wurde» sagt Gerber. Die Rücktritte der Alphatiere wurden früh bekannt. Für ihn, wie auch die übrigen Spieler, eine neue Situation: «Die Verantwortung musste auf mehrere Schultern verteilt werden.»
Der Schnitt tat den Tigers gut: Nach acht Runden standen sie auf dem ersten Rang. Die Siegesserie stoppte erst Alligator Malans kurz vor der Nati-Pause. «In den letzten Saisons hatten wir immer einen schlechten Start und spürten früh den Druck zu punkten», erinnert sich Gerber. Dass die Langnauer so gut aus den Startblöcken kamen, schreibt er auch dem neuen, alten Trainer Johan Schönbeck zu: «Er wusste was ihn bei uns erwartet und hat die Saison optimal vorbereitet. Auch das Spielsystem wurde ein wenig angepasst. Jeder weiss, was er für eine Aufgabe auf dem Spielfeld hat.»
Internationaler Durchbruch
Ein Erfolgsgarant ist auch Gerber selber. Selten, dass er ein Spiel ohne Torerfolg abschliesst. Auf Rang 10 (9 Tore / 7 Assists) steht er aktuell. Gerber hat da weitergemacht, wo er Ende Mai in Schweden aufgehört hat. Als fliegender Verteidiger begeisterte er die schwedischen Experten nachhaltig. Erst wurde er ins All-Star Team gewählt, danach sogar als sechstbester Spieler der Welt ausgerufen. Beinahe hätte er auch noch die Topskorer-Wertung der WM gewonnen - eine Erkältung nach dem Gruppenspiel gegen Schweden stoppte seinen Höhenflug nach fünf Toren und neun Assists. «Nach dem Transfer nach Stockholm wurde ich mit 38 Grad Fieber in ein Einzelzimmer in Quarantäne gesteckt.» 18 Stunden lag er dort, ehe er für den Halbfinal fitgemacht wurde. Im kleinen Finale wurde er 50 Minuten geschont, Teamkollege Adrian Zimmermann überholte ihn derweil in der Skorerwertung. «Ich bin ihm deswegen nicht gram, Hauptsache ein Schweizer Spieler hat die Wertung gewonnen» zeigt er sich sportlich fair.
«Keinen Druck gespürt»
Die zehn Minuten Einsatzzeit sah er vor allem als Zückerchen für seine tollen Leistungen an. Dass er überhaupt für die Schweizer Nationalmannschaft auflief, ist eine spezielle Geschichte. Mit dem ehemaligen Nati-Coach Urban Karlsson hatte er das Heu nicht auf der gleichen Bühne, und zweimal sagte er auch dessen Nachfolger Markus Wolf ab. Im Herbst 2005 meldete er sich aber wieder bei ihm. In den Länderspielen in Sejnajöki (FIN) und am Founders Cup in Kirchberg drängte er sich mit guten Leistungen auf. Auch der Fall der Tigers in die Abstiegsrunde konnte ihn nicht bremsen. «Für uns begann danach ein Neuaufbau, wir Tigers Spieler wollten nach der missglückten Saison unbedingt an der WM dabei sein», erkennt Gerber die Vorteile des frühen Ausscheidens im Nachhinein. Mit einem speziellen Krafttraining bereiteten sich Gerber und seine Teamkollegen Simon Stucki und Daniel Aeschlimann auf den Saisonhöhepunkt vor. Mit dem ehemaligen Zäziwiler Marc Dysli bildete er danach ein dynamisches und schussgewaltiges Backpaar. «Wichtig war aber vor allem, dass ich keinen Druck der Trainer spürte» windet er Wolf & Co. ein Kränzchen.
Emmentaler Vereinstreue
Für ihn sind all die Titel und Auszeichnungen nur eine Momentaufnahme. Im Mittelpunkt steht wieder sein Verein. Seit neun Saisons spielt er bereits in der NLA. Dreimal änderte sich der Namen seines Teams, von UHT Zäziwil, zu UH Zäziwil-Gauchern und seit zwei Jahren Unihockey Tigers Langnau. Mit den Tigers hat er sich hohe Ziele gesteckt: «Wir wollen Meister werden.» Trotz einiger Angebote blieb er den Emmentalern treu. «Ich hoffe, dass wir noch viel Erfolg haben werden. Es ist einfach spezieller und intensiver, dies beim Stammclub zu erleben» erklärt er seine Vereinstreue. Mit zarten 16 Jahren schaffte er 1998 den Sprung in die höchste Spielklasse. «Damals war das noch ein wenig einfacher» erinnert er sich schmunzelnd, «junge Spieler müssen sich heute viel mehr Zeit nehmen, um nach oben zu kommen.» Übrigens: Dass der damals 10-jährige Kusli mit Unihockey begann, ist seinem Onkel und Gauchern-Legende Ernst «Bügelaschi» Gerber zu verdanken. «Ich ging viele Spiele von ihm schauen und mit der Zeit hat's mich gepackt.»
Gerbers Reifeprozess
Nicht immer stand der Sport an erster Stelle. Die wilden Jahre hat Gerber aber mittlerweile hinter sich. «Er hed gruhiget» wie Tigers-Fans und Mitspieler zu erzählen wissen. Auch Schiedsrichter danken der neuen Gerberschen Gelassenheit. «Früher hatte er nach jedem Pfiff gegen ihn Puls 180» weiss der ehemalige NLA-Schiedsrichter Emanuel Müller. Als Stockhändler hat er sein bestes Pferd im Stall nun besser kennengelernt. Die legendären Kusli-Schwalben sind ebenfalls weniger geworden. Ganz lassen kann er es aber doch nicht: «Manchmal muss man sich eben fallen lassen, sonst pfeifen die Schiedsrichter nie...»
Beruflich hat sich seit November einiges geändert. Neu wird er als Verkaufsmitarbeiter endlich geregelten Arbeitszeiten nachgehen können. Zuvor arbeitete er während fünfeinhalb Jahren jeweils während sechs Tagen in der Woche von 02.00 - 09.00 Uhr als Kontrolleur in einem Berner Taxibetrieb. Wieviele NLA-Spieler sich dies wohl angetan hätten? Es bleibt zu hoffen, dass ein ausgeschlafener Markus Gerber auch seinen grössten Traum erfüllen kann: «Der WM-Titel 2008 ist machbar» ist er überzeugt. Auf denn, mit Gebrüll!