Magic Man
Roger Gerber ist nach dem Weggang von Matthias Hofbauer der neue Kreativdirektor des SV Wiler-Ersigen. Wir stellen ihn vor - in seiner vielleicht letzten Saison.
TEXT: RETO VONESCHEN
FOTOS: ERWIN UND DAMIAN KELLER
Quizfrage: Was haben Kevin Kostner, The Great One und Dirty Dancing gemeinsam? Richtig - sie wurden einst von unihockey.ch im Zusammenhang mit Roger Gerber genannt. Genauer gesagt: Mit dessen Spielweise. Das gerbersche Spielprinzip bewegt sich ausserhalb der gängigen Normen und schreit förmlich nach bildhaften Vergleichen. «Der mit dem Ball tanzt» haben wir einst in einem Saisonrückblick geschrieben, ebenso dass Gerber, «Hände wie Wayne Gretzy und Beine wie Patrick Swayze» haben soll. Man könnte es ergänzen mit «der Ronaldinho aus Langenthal» oder «das launische Genie». Aber um im zauggschen Sportberichtsdeutsch zu bleiben: Ein Künstler am Ball, mit aussergewöhnlich flinken Händen und Beinen, der meist das tut, was niemand von ihm erwartet. Kurz: Ein Ausnahmekönner mit Stock und Ball.
Kamerascheuer Star
Dem Künstler selber sind solche Lobeshymnen fast schon peinlich. «Der Vergleich mit Gretzky ehrt, aber er spielt ja auf die andere Stockseite», scherzt er. In seiner Junggesellen WG mit ex-Wiler Verteidiger Jonas Schneeberger heisst er uns willkommen. Eine Ausnahme, wie er betont. «Wenn ich nach Spielen irgendwo ein Mikrofon oder eine Kamera sehe, versuche ich meist abzuhauen. Bei den letzten Playoff-Spielen sind sie mir dann tatsächlich nachgerannt...» In der kleinen Stube in Langenthal fühlt sich der 25-jährige aber wohl. Wenn er vor laufenden Kameras nicht weiss, was er sagen soll - hier läuft alles ganz flüssig, wie Paul Breitner einst floskelte. Und er lässt sich auch nicht ablenken, wenn ständig neue Gäste zur Tür hereinkommen. «Normalerweise ist das gar nicht so», versucht er zu beschwichtigen.
Mehr Verantwortung
Dass das Umfeld stimmen muss, ist ein typisches Merkmal von Roger Gerber. Beruflich fühlt er sich an seinem Job als Anlagen- und Apparatebauer in Aarwangen wohl - oder wie er es sagt: «s'geit gäbig so.» Besonders gäbig geht es ihm aber beim SV Wiler-Ersigen. In seiner siebten Saison ist er aus dem Schatten von Matthias Hofbauer getreten. Die «Kreativabteilung» darf er nun alleine führen, zuvor durfte er als Adjudant Hofbauers in der zweiten Linie auch zwischendurch ein Päuschen einlegen. «In entscheidenden Spielen kann ich mich steigern, dann bin ich voll da. Bei Qualifikationsspielen kann ich das nicht immer behaupten.» Aber auf diese Saison sei es schon viel besser geworden, hängt er rasch an, «zufrieden bin ich aber noch nicht, ich könnte da noch mehr herausholen.»
Blindes Verständnis
In der letzten Saison hat er sich manchmal etwas «gelangweilt», wenn Wiler-Ersigen durchs Land zog. Aufgeblüht ist er dann vor allem in den Playoffs. Zusammen mit Joel Krähenbühl setzte er die Höhepunkte in der Berner Finalissima. Beinahe blind verstanden sich die beiden. Höhepunkt war der 7:4 Siegestreffer der vierten Partie in der Hasle-Rüegsauer Brünnlihalle 14 Sekunden vor Schluss. Es war Gerbers dritter Titel, zuvor gewann er ihn 2004 und 2005. Dazu natürlich noch mit dem Europacup und Schweizer Cupsieg die beiden weiteren Titel aus dem Goldenen Jahr 2005. Mit Wirbelwind Krähenbühl verbindet ihn die gleiche Spielauffassung. Das geht auch ohne grosse Malereien auf der Taktiktafel. «Ich habe gerne wirblige Flügel», sagt der Center. Mit dem Finnen Lasse Riitesuo klappte es diese Saison darum noch nicht wie gewünscht. «Er wollte meist, dass ich ihm nach dem gleichen Schema zupasse», erklärt Gerber warum Riitesuo mittlerweile in einer anderen Formation spielt.
Offensivgeist bevorzugt
Dass auf ihm nach dem Weggang von Hofbauer mehr Druck lastet, belastet Gerber nicht. Oder wie er es sagt: «Darüber mache ich mir keine Gedanken.» Wohl besser so - spielen und nicht nachdenken, heisst seine Maxime. Etwas, das wohl noch manchem Schweizer Spieler gut täte. Wie wichtig er trotzdem für Wiler-Ersigen geworden ist, weiss er aber schon. «Es steht und fällt fast alles mit dir, sagt mir mein Trainer Thomas Berger, wenn er sich nach meinem Befinden erkundigt», schmunzelt Gerber. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass das Verhältnis zwischen dem als stur geltenden Berger und Freidenker Gerber als kühl gilt. «Stimmt überhaupt nicht», wirft «Röschu» ein. «Wir sind halt beide ein wenig launisch, aber er ist der beste Trainer, den ich je hatte. Gerade in den Spielpausen schätze ich es sehr, wenn er mit wenigen Worten das Geschehene präzis analysiert.» Auch die offensive Spielausrichtung ist ganz nach Gerbers Gusto. «Bei mir muss es nach vorne gehen, nur hinten hineinstellen, nein das geht nicht.»
Vorbild Ulle
Seinen ersten Unihockeytrainer hat Gerber als 13-jähriger kennengelernt. Auf dem Hof von Thomas Gerber («in Aarwangen gibt es ganze Telefonseiten mit dem Namen Gerber») packte der Jüngling gerne mit an. Gerber Senior nahm den damaligen Fussballer und Turner («die Jugendriege war die beste sportliche Ausbildung») mit ins B-Junioren Training des UHC Aarwangen. Michel Petitat, der heutige Trainer des B-Ligisten Langenthal-Aarwangen, erkannte das Talent des jungen Gerbers und holte ihn bald in die 1. Mannschaft, welche damals noch in der 1. Liga KF spielte. Nach dem Abstieg im Jahr 2000 nahm ihn Petitat gleich mit zu den Elite-Junioren von Wiler-Ersigen. Dort gewann er auf Anhieb die Goldmedaille und vor allem konnte er von seinem Vorbild Ueli Reinmann vieles abschauen. «Er war mein Vorbild damals, ich habe seine Technik bewundert und versucht sie nachzuahmen.»
«Bin fast eingeschlafen»
Zurück zum Umfeld. Nicht immer hat dies bei Gerber gestimmt. In der Nationalauswahl fühlte sich der Center nicht wohl. Bereits die Weltmeisterschaft 2004 bezeichnet er als Reinfall. «Im Halbfinal erhielten wir die ersten drei Gegentore», sagt der damals als Flügel eingesetzte Vollblutcenter. Und auch an die WM 2006 hat er keine guten Erinnerungen. Das 4:4 gegen Schweden erlebte er zu Regenerationszwecken von der Tribüne aus, doch gerade an das Halbfinalspiel gegen Finnland erinnert er sich ungern. Einerseits ärgerte er sich über die defensive Spielweise («Wir hätten die spielerischen Mittel gehabt, um Finnland zu schlagen, wir haben es in den Testspielen ja bewiesen») andererseits auch über die Vorbereitung des Halbfinals. «Das Thema der WM hiess Eigernordwandbesteigung. Wir lagen in unseren Biwaks in der Kabine, was ich während des Turniers positiv empfand, aber dann kamen Bilder von finnischen Spielern und das Lied Time to Say Goodbye. Ich bin fast eingeschlafen, vor dem wichtigsten Spiel. Vor solch einer Partie müssen doch die schönsten Tore gezeigt werden und aufputschende Musik gespielt werden», sagt er heute.
Noch eine Saison
Das Thema Nati ist mittlerweile abgehakt. Der Hauptgrund ist aber ein anderer. Roger Gerber wird nach dieser Saison mit NLA-Unihockey aufhören müssen. Die Arthrose in seiner Hüfte ist zu weit fortgeschritten. «Ich kann mit den Beinen nicht mehr alle Bewegungen machen», sagt er - dazu knackt es laut hörbar mehrmals während des Gesprächs. 2005 habe er in den Playoffs gegen GC «fast den Spagat» gemacht, seither schmerzt es in seinen Hüften. Erst eine MRI-Untersuchung brachte Klarheit. Bereits sind einige Risse zu sehen - eine Operation wird Ende Saison unumgänglich. «Eigentlich hätte ich jetzt schon aufhören sollen, der Arzt hat mir abgeraten weiter zu spielen, aber diese Saison wollte ich unbedingt noch dabei sein.» Momentan hofft er in Zukunft noch ohne künstliches Hüftgelenk auszukommen. «Das Schicksal hat es wohl so gewollt», sagt er kopfschüttelnd, «würde ich darauf verzichten, dürfte ich nur noch Schwimmen und Velofahren. Das wäre der pure Horror für mich, ich muss irgendeinen Ballsport ausüben können.» Über die Zeit nach dem Unihockey hat er sich noch keine Gedanken gemacht. Einzig eine neue Akkustikgitarre steht in der Ecke. «Mein nächstes Ziel», lacht er. Und es würde uns nicht verwundern, wenn bald ein Musikmagazin nach Superlativen suchen würde. «Clapton wohnt jetzt in Langen-thal» würde auch ganz gut tönen.
Röschu spezial
Sitzplatz: In der Kabine von Wiler-Ersigen habe ich einen speziellen Platz. Ich sitze unter dem Schlüsselkästchen auf dem Boden. Als Junior habe ich mich bei einem meiner ersten Trainings auf den Platz von Christian Moesch gesetzt. Dieser hat dann kurzerhand meine Sachen auf den Boden geworfen. So blieb dies mein Platz - ab und zu gewährt mir Thomas Bieber etwas Platz auf dem Holzbänklein ...
Stock: Früher war mein Stock heilig, niemand durfte ihn anfassen. Ich habe auch selten einen zerbrochen. Heute bin ich nicht mehr so heikel. Und ich teste jedes Jahr die neuen Schaufelmodelle, aber ich kann mit keinem so gut spielen wie mit der Evo2. Für diese Saison hatte ich zudem keine Lust mehr alles umzustellen. Aber das Gerücht, dass ich so lange spiele, bis diese Stockschaufel nicht mehr erhältlich ist, dementiere ich!
Verwechslungen: Bei Fernsehaufnahmen hatte ich bisher grosses Glück. Zwei meiner grössten Fehler während Spielen wurden anderen Spieler angehängt. In der Finalserie 00/01 gegen Rot-Weiss Chur traf ich in der Verlängerung den Pfosten, mit dem darauffolgenden Konter erzielte Robin Alder den entscheidenden Treffer. Im Fernsehbericht sagte der Kommentator aber «Raphael Keller traf den Pfosten.» Gleiches auch im letzten Jahr im Cupfinale. Ich spielte einen katastrophalen Pass zu Langnaus Jim Canerstam - der Fehlpass wurde aber im TV Simon Bichsel angekreidet ...