Der Metzger
Aus «Stuckigol» ist eine Identifikationsfigur mit Teamleaderqualitäten geworden. Mit 23 Jahren gehört der Familienvater bereits zum Inventar der Tigers.
TEXT: Emanuel Antener
FOTOS: Fabian Trees, unihockey.ch
Als wir vor zwei Jahren den damals 21-jährigen Simon Stucki unseren Lesern näher brachten, stellten wir ihn als «Stuckigol» vor und versuchten, seinem sagenhaften Torinstinkt auf den Grund zu gehen. Er schoss die meisten Tore der NLA, hatte bereits die 100-Tore-Marke geknackt und erzielte mehrfach vier Tore in einem Spiel. Einmal gegen die Jets sogar deren sechs. Seine Schussgewalt brachte ihm den Übernamen «Killer» ein. «So ruft mich niemand mehr», sagt Stucki. Vielleicht, weil seine Torproduktion etwas zurück gegangen ist. Trotzdem wird Stucki für die Tigers immer wichtiger. Er wuchs in die Rolle des Teamleaders und prägt das Spiel seiner Mannschaft mehr denn je, einfach nicht mehr hauptsächlich durch seine Tore.
Gründe für den Wandel
Diese These wird dadurch untermauert, dass Stucki in der letzten Saison als die Tigers Cupsieger und Vizemeister wurden fast gleich viele Assists verbuchen konnte wie in seinen vorangehenden vier NLA-Saisons zusammen. Worin sieht er die Gründe für seine Entwicklung? «Einerseits hinterliess der Rücktritt des langjährigen Captains Stefan «Schaumi» Lüthi eine grosse Lücke in der Teamhierarchie, die von einigen Spielern zu denen ich mich auch zähle geschlossen werden musste. Andererseits legte auch Daniel Aeschlimann eine längere Pause ein. «Aesche» war zuvor in meiner Linie der Spielmacher und spielte mich oft frei, so dass ich nur noch das Tor erzielen musste.» Hinzu kam, dass Stucki neu vorwiegend auf der Centerposition eingesetzt wurde, auch in dieser Hinsicht eine neue Rolle ausfüllen musste und mehr Einfluss auf die Spielgestaltung nehmen konnte. Und nicht zuletzt die Rückkehr von Johan Schönbeck brachte die Tigers und auch Stucki weiter. «Johan brachte viele neue taktische Dinge in die Mannschaft und eine klare Linie, ein Konzept in unser Spiel.»
Ungewohnte Perspektive
Auf der Centerposition fand sich Stucki schnell zurecht, auch wenn er zu Beginn noch zahlreiche Fehler beging. «Früher war ich bei den Zweikämpfen oft zu ungestüm und wollte den Ballgewinn zu schnell erzwingen. Daraus resultierten viele ungeschickte Fouls und viele Strafen wegen Stockschlägen. Ich glaube, dass ich in diesem Bereich Fortschritte erzielen konnte, ohne dass dabei meine physische Präsenz gelitten hat.» Dennoch ist er überzeugt, sich weiter steigern zu können, da er teilweise immer noch zu viele Fouls begeht und Strafen erhält. «Ausserdem bin ich nach wie vor häufig zu ballorientiert», fügt er selbstkritisch hinzu. Als Center lernte er eine neue Perspektive innerhalb des Spiels kennen und verdeutlicht dies am Beispiel des Schweden Johan Karlberg, der während mehreren Jahren bei den Tigers bzw. damals bei Zäziwil, spielte. «Wie oft habe ich über ihn geflucht, weil er mich als Flügel immer herumkommandiert hat und selbst einfach nur in der Mitte herumgestanden ist.» Nachträglich hat er aber festgestellt, dass man als Center einen besseren Überblick besitzt und begann selbst damit, seine Flügel zu dirigieren.
Identifikationsfigur
Seit er sieben Jahre alt ist, begeistert er sich für den Unihockeysport und identifiziert sich mit den Tigers bzw. Zäziwil, wie der Verein lange hiess. Mittlerweile ist er eine Institution im Verein und viele Junioren haben ihn zum Vorbild. Stuckis Engagement und die volle Leistungsbereitschaft («Wenn ich mich für etwas einsetze, dann gebe ich immer 100 Prozent!») schlägt sich auch in Details nieder. So gibt er auch bei einem Sponsorenlauf Vollgas, denn «bei etwas einfach nur so dabei sein, damit man mitgemacht hat, liegt mir fern.» Stucki hat kürzlich seinen Vertrag um weitere zwei Jahre verlängert, weil es bei den Tigers für ihn einfach stimmt. Erstens aus der privaten und beruflichen Sicht, aber seit der letzten Saison läuft es auch sportlich gut. Stucki zeigt sich besonders erfreut darüber, «dass bei den Tigers auch in Sachen Vereinsstruktur und Professionalität klare Fortschritte gemacht wurden.» Weiter ist er zuversichtlich, dass mit der Verpflichtung von Philippe Soutter als Nachfolger von Schönbeck der eingeschlagene Weg fortgesetzt werden kann.
80 Prozent Metzger
Dass er alles zu 100 Prozent macht, trifft nicht ganz zu. Auch wenn ihm seine Arbeit als Metzger sehr gut gefällt, hat er seit Jahresbeginn seinen Job auf 80 Prozent reduziert, damit er sportlich nach wie vor seine volle Leistung erbringen kann, aber zugleich mehr Zeit mit seiner Familie, mit seiner Freundin Karin und dem vierjährigen Sohn Joris, verbringen kann. «Dass ich am Freitag nicht mehr arbeiten gehe, hat sich durchweg positiv ausgewirkt. Ich kann nicht nur mehr für die Familie da sein, sondern mich auch besser auf die Spiele oder die Trainings vorbereiten.» Ganz allgemein kommt abseits des Spielfeldes und der Metzgerei eine Seite zum Vorschein, die ihm viele nicht zutrauen, wenn sie ihn spielen sehen. Stucki ist nicht nur ein ausgeprägter Familienmensch, sondern lässt sich als umgänglicher, fröhlicher und humorvoller Mensch beschreiben. Weiter ist er bescheiden und nebst seiner «immer positiven Einstellung auch meist zufrieden und glücklich.»
100 Prozent Playofffieber
In naher Zukunft, wenn die Meisterschaft mit den Playoffs in die entscheidende Phase geht, wird die zurückhaltende Seite in den Hintergrund treten. Stuckis Vorfreude auf die Playoffs ist gross, nach den Erfolgen im letztem Jahr umso mehr. «Da haben wir gesehen, wie toll es sein kann.» Die beiden umkämpften Serien gegen Malans im Halbfinal und Wiler im Final sind ihm nach wie vor präsent. Die anstehende Halbfinalserie mit dem Berner Derby gegen Floorball Köniz erwartet Stucki ausgeglichen und intensiv. Er geht davon aus, dass die Zuschauer attraktiven Sport zu sehen bekommen. Die Ausgangslage präsentiert sich Stucki zufolge völlig offen. «Die oft erwähnte mangelnde Playofferfahrung von Köniz ist ebenso wenig ein Vorteil für uns, wie es kein entscheidender Nachteil ist, dass wir in dieser Saison alle drei Direktbegegnungen gegen sie verloren haben.» Lassen wir uns also überraschen, wer sich in dieser Halbfinalserie besser metzget.
Stuckis wichtigste Tore
Während bei vielen Spielen in entscheidenden Situationen die Hände zu zittern beginnen steigt, ist Stucki in diesen Situationen «on fire». «Ich liebe es, in wichtigen Situationen auf dem Bitz zu stehen. Ich habe das Gefühl, ich könnte jeweils fast durchspielen, ohne zu wechseln. Ich bin überzeugt, dass ich es schaffen kann, ein Tor zu erzielen oder einen entscheidenden Pass zu spielen.» Dementsprechend überrascht es nicht, hat Stucki bereits einige Tore erzielt, die den eingefleischten Fans noch lange in Erinnerung bleiben. Nachfolgend seine persönlichen Favoriten der letzten Jahre:
09.04.2007: 5. Playoffhalbfinalspiel:
Alligator Malans Unihockey Tigers 2:3 n.V.
Die Tigers kämpften sich in die Serie zurück, nachdem Malans in der Best-of-Five-Serie mit zwei Siegen vorne lag. Das entscheidende fünfte Spiel bot viel Spannung und lag auf des (Metzgers) Messers Schneide, bis Stucki in der 71. Minute das Sudden-Death-Tor zum Finaleinzug gelang. «Normalerweise schiesse ich nicht direkt, wenn ich den Ball zuerst am Körper vorbei lassen muss, in dieser Situation tat ich es dennoch. Vor dem Einsatz sagte ich zu Kusli Gerber (welcher den Assist gab), komm, jetzt machen wir das Tor und beenden die Serie.»
30.01.2005: 18. Qualifikationsspiel:
Floorball Köniz Zäziwil-Gauchern 8:9 n.V.
Im Direktduell um die Qualifikation für die Finalrunde musste Zäziwil mindestens in der Verlängerung gewinnen. Lange Zeit dominierte Köniz die Partie und lag bis in die 47. Minuten scheinbar uneinholbar mit 8:3 vorne, ehe Zäziwil aufholte und sich durch zwei Treffer von Markus Gerber in der letzten Spielminute in die Verlängerung rettete. Mit einem Traumtor aus grosser Distanz sicherte Stucki Zäziwil den Finalrundeneinzug. «Nachdem ich in der regulären Spielzeit zweimal in ähnlicher Position zu lange gezögert hatte, sah ich zwischen den Beinen des Verteidigers eine Lücke und zog voll durch mit Erfolg», erinnert er sich daran.
25.05.2006: 4. Gruppenspiel an der WM
in Schweden: Schweden-Schweiz 4:4
Als erstes Land gelang es der Schweiz, Schweden an einer WM einen Punkt abzunehmen. Im letzten Gruppenspiel führte Schweden nach zwei Dritteln mit 3:1, ehe die Schweiz innert drei Minuten das Spiel drehte. Stucki traf mit einem Freistosstor in der 45. Minute zur 4:3-Führung. «Bereits vor dem Spiel wusste ich, dass ich zu Käru gehen und ihr ein Müntschi geben würde, sollte ich ein wichtiges Tor erzielen.» Das Tor und der Kuss waren auch im Schweizer Fernsehen zu sehen und Sascha Ruefer fand ihn «herzig».
01.03.2008: 5. Finalrundenspiel:
Unihockey Tigers Alligator Malans 10:9 n.V.
Um noch auf Rang drei vorzustossen, benötigten die Tigers einen Sieg gegen Alligator Malans. Nach zwei Dritteln führten die Tigers mit 8:4, bevor «wir den Vorsprung auf dumme Art und Weise preisgaben. Das löste Frust aus. Aus der Wut heraus war ich überzeugt, dass wir das Tor schiessen würden, damit doch noch alles in Ordnung kommt.» Stucki nahm Mass und sicherte mit seinem dritten Tor den angestrebten Sieg.
30.09.2007 3. Qualifikationsspiel:
Unihockey Tigers SV Wiler-Ersigen 2:1
Drei Minuten vor Schluss gelingt Stucki im Powerplay mit einem Weitschuss das entscheidende Tor. Dieses Tor war für ihn zweierlei Hinsicht besonders: «Erstens kommen Siege gegen Wiler-Ersigen selten genug vor und sind deshalb immer besonders schön, und zweitens führte ein Rencontre zwischen Roger Gerber und mir zu einer unberechtigten Roten Karte gegen ihn, und wir konnten von der daraus resultierenden Strafe profitieren.