Bunte Chaotin
90 Minuten können eine lange Zeit sein. Dann beispielsweise, wenn die Schweizer Fussballer zu einem Testkick antreten. Oder wenn nach einem langen Flug auf das Gepäck gewartet werden muss. 90 Minuten können aber auch wie im Fluge vergehen, wenn die Interviewpartnerin eine kleine Quasselstrippe ist und Fragen mit da könnte ich jetzt ein ganzes Heft mit Geschichten füllen beantwortet. Seraina Ulber ist so eine Person. Lebendig, stets ein Lächeln auf den Lippen und ein Mundwerk, das einem Wasserfall gleicht. Und, so ist aus Piranha-Kreisen zu vernehmen, eine grosse Chaotin, der aber niemand lange böse sein kann. Ihr Lebensmotto In der Ruhe liegt die Kraft nimmt man ihr jedenfalls nur mit einem Schmunzeln ab. Ohne ihre beste Freundin Lorena Girelli wäre sie in den Ferien wohl verloren gegangen, lachen die Team- (und Ferien-)Kolleginnen noch heute. Mamma nennt sie U21-Spielerin Girelli mittlerweile. Sie ist schon so etwas wie mein Gedächtnis, gibt Seraina Ulber zu. Artikel lesen
Bunte Chaotin
Nach Simone Berner war Seraina Ulber die zweite Schweizer Spielführerin, die einen WM-Pokal in die Luft stemmen durfte. Bunti ist aber vor allem ein Wirbelwind, dem so manch Schräges unterlaufen ist.
TEXT: Reto Voneschen
FOTOS: Erwin Gahr
90 Minuten können eine lange Zeit sein. Dann beispielsweise, wenn die Schweizer Fussballer zu einem Testkick antreten. Oder wenn nach einem langen Flug auf das Gepäck gewartet werden muss. 90 Minuten können aber auch wie im Fluge vergehen, wenn die Interviewpartnerin eine kleine Quasselstrippe ist und Fragen mit „da könnte ich jetzt ein ganzes Heft mit Geschichten füllen" beantwortet. Seraina Ulber ist so eine Person. Lebendig, stets ein Lächeln auf den Lippen und ein Mundwerk, das einem Wasserfall gleicht. Und, so ist aus Piranha-Kreisen zu vernehmen, eine grosse Chaotin, der aber niemand lange böse sein kann. Ihr Lebensmotto „In der Ruhe liegt die Kraft" nimmt man ihr jedenfalls nur mit einem Schmunzeln ab. „Ohne ihre beste Freundin Lorena Girelli wäre sie in den Ferien wohl verloren gegangen", lachen die Team- (und Ferien-)Kolleginnen noch heute. „Mamma" nennt sie U21-Spielerin Girelli mittlerweile. „Sie ist schon so etwas wie mein Gedächtnis", gibt Seraina Ulber zu.
Mädchen aus den Bergen
„Bunti" wird sie gerufen, die Erklärung dazu („ich hatte einmal meine Trainingssachen vergessen, musste mir alles von den Teamkolleginnen ausleihen und stand in den wildesten Farben da") stand schon mal hier im Heft. „Heidi" wäre eigentlich auch ganz passend. Zu keiner passt der Torsong der Churer Piranhas besser als zu Seraina Ulber, Sie ist wirklich „ein Kind aus den Bergen." In Lantsch und in Churwalden ist Seraina Ulber aufgewachsen. Für Bergdörfer-Unkundige: Beides Nachbarorte von Lenzerheide-Valbella, dem Ort, wo Uli Hoeness und auch bald Roger Federer ein Ferienhaus besitzen. Dort erlebte sie das, was gerne als „unbeschwerte Jugend" bezeichnet wird. Ein Wildfang sei sie gewesen, der mit den Nachbarjungs am liebsten Hockey auf dem Hof des Grossvaters gespielt habe, erzählt Ulber. „Ich habe damals ausgesehen wie ein Junge, hatte ganz kurze Haare, da ich mich so genervt habe, wenn ich meine langen Haare bei Besuchen im Hallenbad so lange föhnen musste", schmunzelt sie rund zehn Jahre später über ihre früheren Macken. „Meiner Mutter kamen fast die Tränen, als ich ihr den abgeschnittenen Zopf zeigte."
Früh in der U19-Nati
Vom Bauernhof gings bald in die Turnhalle zum UHC Lenzerheide/Valbella. Zeitweilig spielte sie in drei Teams - Juniorinnen C, Junioren C und Juniorinnen B. „Aber am meisten Spass hats bei den Jungs gemacht", grinst Ulber. Nach dem Übertritt zur Kantonsschule Chur wechselte sie auch gleich die Mannschaft. Ihr Talent hatte sich auch in der Hauptstadt rumgesprochen, Piranha Chur klopfte an. Zwei Jahre spielte sie bei den Juniorinnen B zusammen mit den jetztigen Natispielerinnen Corin Rüttimann und Flurina Marti. „Ein einziges Spiel haben wir in dieser Zeit verloren", erinnert sich Ulber. U19-Nationaltrainer Bernhard Nussbaum nahmt sie - noch als B-Juniorin - mit an die Weltmeisterschaft 2006 in Weissenfels. „Zu Lernzwecken", wie Ulber ergänzt.
Zwei Jahre später schlug ihre Stunde. Überraschend wird sie von Coach Nussbaum vor der WM in Polen zum Captain der U-19 Nati bestimmt. „Er wollte, dass ich mehr Verantwortung übernehme, aufwache, nicht mehr nur den Clown mache", so Ulber über die unerwartete Ehre. Ihre älteren Teamkolleginnen in Chur kringelten sich derweil vor Lachen. „Erst als wir am United-Cup in Winterthur mit der U19 gegen sie spielten, glaubten sie, dass ich Captain bin", erinnert sich Ulber. Im polnischen Hinterland schlug dann die grosse Stunde der jungen Schweizerinnen. Auch drei Jahre später glänzen „Buntis" Augen noch. „Nach dem 8:1-Startsieg gegen Finnland wurde die WM ein Selbstläufer. Zwei verdammt lange Jahre hatten wir Auslösungen bis zur Erschöpfung in den Trainings geübt - im Spiel gegen Finnland ging denn auch genau wegen diesen Pässen alles auf", so Ulber. Im Halbfinale lagen die Schweizerinnen gegen Gastgeber Polen erst 0:2 im Rückstand, „doch keine wurde nervös, wir spielten einfach weiter und gewannen 13:2."
Blackout bei Siegerehrung
Auch im Final gegen die vermeintlich übermächtigen Schwedinnen blieben die Schweizer Girls ruhig. Der siegessichere Schweden-Coach Marcus Holm (ex-Piranha-Trainer) liess seinen Captain sowie die beste Torschützin draussen und munterte Ulber & Co. mit einem höhnischen „Hopp Schwiiz" auf. Nach zehn Minuten führten die Schweizerinnen 3:0, erst kurz vor Schluss glich Schweden nach einem dramatischen Spiel zum 7:7 aus. „Ich war den Tränen nahe,, doch Nussbaum fand wie im ganzen Turnier die richtigen Worte, um uns wieder aufzubauen." Die jetzige Dietliker Stürmerin Julia Suter machte in der Verlängerung die Sensation perfekt - und realisierte erst Minuten später, dass sie die Schweiz zum WM-Titel geschossen hatte. „Julia hatte ganz vergessen, dass es eine Sudden-Death-Verlängerung war. Sie glaubte, dass die Partie wieder angepfiffen werde", amüsiert sich Ulber noch heute und erinnert sich mit Wohlwollen, wie sie sich bei Coach Holm mit einem „Hopp Schweden" für den Finalsieg bedankte. An den grossen Moment der Pokalübergabe kann sie sich aber nicht mehr erinnern. „Ich habe ein komplettes Blackout, was dies betrifft. Wir waren so im Weltmeister-Rausch, dass ich keine Ahnung mehr habe, wer mir den Pokal übergeben hat und was ich dabei gefühlt habe." 16 Stunden hatten die Schweizerinnen danach Zeit, um den zweiten Schweizer Unihockey-WM-Titel (nach der A-Nati 2005 in Singpur) im Bus zu feiern.
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