Der Quarterback
Donnerstag-Nachmittag, im nebligen Solothurner Februar. Der blonde Riese leidet. Im tief im Winterschlaf weilenden Strandbad sollten die Aufnahmen für das neue Cover dieses Magazins geschossen werden. Doch Esa Jussilas Augen sind innert Sekunden tiefrot, die Nase läuft. „Mach schnell, ich kann meine Augen fast nicht offen halten bei soviel Schnee", ruft er dem Fotografen zu. Ein Finne, der schneeblind ist? „Im Schwimmbad? Das passt ja wunderbar. Er kann ja kaum schwimmen", lachte sich Martina Collenberg, die Freundin von Jussilas Teamkollege Olli Oilinki, Stunden vor dem Shooting fast kaputt. Ein Finne, der nicht schwimmen kann? Wir kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus.
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Der Quarterback
Mit Esa Jussila spielt einer der spektakulärsten Unihockeyspieler der Welt bei Wiler-Ersigen. Der einzige amtierende Weltmeister hat sich nach fünf Jahren bei Alligator Malans einer neuen Herausforderung beim Meister gestellt.
Donnerstag-Nachmittag, im nebligen Solothurner Februar. Der blonde Riese leidet. Im tief im Winterschlaf weilenden Strandbad sollten die Aufnahmen für das neue Cover dieses Magazins geschossen werden. Doch Esa Jussilas Augen sind innert Sekunden tiefrot, die Nase läuft. „Mach schnell, ich kann meine Augen fast nicht offen halten bei soviel Schnee", ruft er dem Fotografen zu. Ein Finne, der schneeblind ist? „Im Schwimmbad? Das passt ja wunderbar. Er kann ja kaum schwimmen", lachte sich Martina Collenberg, die Freundin von Jussilas Teamkollege Olli Oilinki, Stunden vor dem Shooting fast kaputt. Ein Finne, der nicht schwimmen kann? Wir kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Esa Jussila gibt Rätsel auf. „Ich mag die Busreisen in Finnland nicht", sagt er auf die Frage, warum er seine sechste Saison in der Swiss Mobiliar League in Angriff nimmt. Ein Finne, der nicht gern Auto fährt? Es wird nicht das letzte Rätsel bleiben rund um den finnischen Hünen. „Quarterback", „Karajan", „Harfenspieler", „Michael Jordan des Unihockeys", „Genie mit Plastikstock", oder ganz einfach „Gott" - viele Wortkreationen wurden erfunden, um Jussila besser zu beschreiben. Sein Spiel beflügelte die Wortakrobaten zu Höhenflügen, genau gleich wie seine Mitspieler, wenn Jussila diese mit präzisen und vor allem überraschenden Zuspielen lancierte.. „Sag mir wie Jussila spielt, und ich sage dir wie Alligator spielt", lautete die meistgehörte „Bauernregel" bei den gegnerischen Teams. Kurz: Esa Jussila war die Seele des Malanser Spiels.
Seine Wichtigkeit unterstrich die Aktion in den Playoff-Viertelfinals vor einem Jahr gegen Chur. Im dritten Spiel verletzte sich Jussila am Schienbein. Die Partie konnten die schockierten Malanser noch knapp gewinnen und so auch 3:0 in der Serie in Führung gehen. Die nächste Partie ging aber - ohne Jussila, der zuhause im Bett vor dem Liveticker mitzitterte - deutlich verloren. Die Serie drohte zu kippen. „Rechtes Bein gut", sagte Jussila auf sein Befinden angesprochen damals nur noch kurz angebunden. Für das lädierte linke schob die medizinische Abteilung Überstunden und bastelte einen überdimensionalen Schienbeinschoner. Zusammen mit den darüber gezogenen Stulpen entstand so der legendäre „Skischuh". Trotz eines humpelnden Jussilas, der zunächst nur für Überzahlsituationen aufs Feld ging, gewannen die Malanser die Partie und entschieden die Serie vorzeitig.
Überraschender Wechsel
Alligator Malans und Esa Jussila, das gehörte lange zusammen. In der ländlichen Bündner Herrschaft hatte der Junge aus Joensuu („Für die Finnen gehört das fast zu Russland, obwohl wir über 100 Kilometer von der Grenze entfernt sind") seine zweite Heimat gefunden. Die gegenseitige Liebe gipfelte in seinem Ausspruch „Wenn ich in der Schweiz spiele, dann nur für Malans". Die alljährlichen Abwanderungsgerüchte ins Unterland wurden meist als Druckmittel für einen besseren Vertrag angesehen. Von 2004 bis 2007 und seit 2009 wieder verdiente Jussila seine gut belegten Brötchen im Bündnerland. In den zwei Jahren unter dem jetzigen Natitrainer Petteri Nykky war Jussila als Captain quasi spielender Assistenztrainer.
Die Idylle zerbrach aber, als Jussila vor einem Jahr bekannt gab, zukünftig für den Erzrivalen Wiler-Ersigen spielen zu wollen. „Judassila", spotteten die erzürnten Anhänger bereits, während sich der Angesprochene den Wechsel vor allem wegen einer Luftveränderung und einer neuen Herausforderung zu erklären versuchte. Der schlaue Wiler-Manager Marcel Siegenthaler hatte es geschafft, Jussilas Ehefrau Moona mit einem Jobangebot für Wiler-Ersigen zu erwärmen. Malans hatte es während der ganzen Saison nicht geschafft, einen passablen Job für Frau Jussila zu finden. Ironie des Schicksals: Am gleichen Tag, als Wiler-Ersigen den Wechsel bekannt gab, hätten die Alligatoren einen adäquaten Job gefunden gehabt.
Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt
So spielt der 32-jährige nun seit August für den Schweizermeister. Einfach sei es ihm gemacht worden, sagt Jussila über die Ankunft im Unter-Emmental. Den grössten Unterschied sieht er in der Verantwortung. „Bei Malans wurde die Mannschaft rund um die Ausländer aufgebaut. Bei Wiler-Ersigen wird das Team rund um Schweizer Spieler geformt, und die Ausländer kommen dann dazu", hat er rasch festgestellt. Eine neue Situation, die ihm aber nicht ungelegen kommt. „Bei Malans hing vieles von meiner Leistung ab, bei Wiler-Ersigen haben wir nun viele Leader, die das Team führen", so Jussila. Überrascht haben ihn vor allem Thomas Bieber („Ich wusste nicht, dass er so ein Spassvogel ist") und Philipp Fankhauser („Trotz seines jungen Alters schon ein Teamleader").
Abgabe der Verwantwortung, heisst für Esa Jussila auch, dass er seit dieser Saison „nur" noch den zweiten Block führt und nicht mehr die ganze Mannschaft. Mit dem einstigen Weltklasse-Verteidiger Henrik Quist („Er ist immer noch im Aufbau"), dem unterschätzten Dave Wittwer, dem Finnland-erprobten Adrian Zimmermann und Sniper Nico Berlinger bildet Jussila eine buntgemischte, aber gefährliche Formation. So dominant wie in Malans spielt der Finne nicht mehr, nach einer Angewöhnungsphase hat er sich aber auf einem erwartet hohen Level eingespielt. Die Captainbinde sowie die Skorerwertung musste er Matthias Hofbauer überlassen. Dafür ist Jussila mit aktuell 44 Zuspielen der Assist-König der Liga. Vor allem im Überzahlspiel ist seine Genialität förmlich spürbar.
Länger geblieben, als geplant
Sein Einstieg beim Meister bezeichnet Jussila als den einfachsten Anfang seiner Karriere. 2003 verliess er Stammclub Josba Joensuu erstmals, um zu Nykkys Espoon Oilers zu wechseln. Ein Jahr in der Grossstadt Helsinki reichte dem Landjungen aber. Er wechselte nach der Weltmeisterschaft in Zürich und Kloten zu den Malanser Alligatoren. „Zuerst dachte ich, hier bleibe ich nur eine, allenfalls zwei Saisons", schaut Jussila zurück. Finnen waren damals so selten wie Schweizer Eishockeyspieler in der NHL. Statt in Helsinki hauste Jussila im 1400-Seelen-Dorf Grüsch. Damit konnte er besser umgehen als seine damalige Freundin, ein finnisches Unterwäschemodel, das nach einem Monat zurück kehrte. Erleichtert hatten ihm den Einstieg in die neue Welt seine Sprachkenntnisse. Deutsch und Schwedisch hatte er zum Glück in der Schule gelernt - der damalige Trainer Stefan Smedberg sprach nicht mal Englisch. Mittlerweile spricht Jussila ein finnisch gefärbtes Schweizerdeutsch.
Schon bald zeigte sich, welches Juwel Louis Liesch in die Schweiz gelotst hatte. Bereits im zweiten Jahr feierte Malans mit Jussila als Dreh- und Angelpunkt des „Ausländerblocks" den Meistertitel. Hinten tanzte Mathias Larsson die Gegner aus und vorne verwandelte Martin Olofsson die Pässe Jussilas zu Toren. Eines der besten Ausländertrios der Schweizer Unihockey-Geschichte hatte sich gesucht und gefunden. Vor allem die Playoff-Finalspiele sind Jussila in Erinnerung geblieben. „Wir waren wie auf Drogen", sagt er lachend. Nach einer studienbedingten Rückkehr nach Joensuu rief die Schweiz 2009 wieder. Neben der Lebensqualität lockten auch die besseren Verdienstmöglichkeiten. Das gibt Jussila unumwunden zu. „Meine Mutter hat ein Treuhandbüro, von ihr habe ich den sparsamen Umgang mit Geld gelernt", erzählt Jussila. Mit dem Ersparten baute er sich ein Haus in Joensuu.
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