01.
2014
Aufregung beim grossen Bruder
In Floorball Deutschland brodelt es. Zuletzt sorgte ein vermeintlicher Maulkorb von Bundestrainer Philippe Soutter für viel Gesprächsstoff. Eine Zusammenfassung.
Vor gut einem Jahr war die deutsche Floorball-Welt noch in Ordnung. Oder schien sie gegen aussen zumindest. Unter der Regie des Kulttrainers Philippe Soutter stürmte das deutsche Team völlig überraschend in den WM-Halbfinal im Hallenstadion. Gegen Schweden im Halbfinal (0:13) und die Schweiz im Bronzespiel (0:8) gab's zwar zwei deutliche Schlappen, trotzdem war der erstmalige Vorstoss der deutschen Equipe unter die letzten vier ein historisches Ergebnis.
Die Hoffnung war gross, dass Floorball in Deutschland nun den lange ersehnten Aufschwung erleben würde. In den neuen Bundesländern spriesste die Floorball-Saat seit einigen Jahren erfreulich, im Rest der Republik aber nur zögerlich. Dabei half - zumindest vorerst - weder die Durchführung der U19-WM im letzten Mai in Hamburg, noch die neu geschaffenen Stellen auf der Geschäftsstelle des Verbandes. Ein Loch in mittlerer fünfstelliger Höhe resultierte Ende Jahr in der arg gebeutelten Verbandskasse. Nach einer dreieinhalbstündigen Sitzung segnete der Gesamtvorstand am 19. Dezember - mit einigen tadelnden Worten - die Erhöhung der Lizenzgebühren für die Bundesliga-Teams (rund 1000 Euro pro Team) ab. Dass nicht alle damit einverstanden waren, zeigte der offene Brief des Leipziger Vereinspräsidenten Ralf Kühne.
Dass Deutschland weiter von den Top-Nationen entfernt ist, als vermutet (oder erhofft), zeigt der weitere Verlauf der Männer-Nationalmannschaft. Nach der WM in Zürich wurde 2013 kein einziges offizielles Länderspiel ausgetragen. Nur einmal, im Oktober, traf sich eine deutsche Auswahl zu einem Trainingscamp in Tschechien. Von der WM-Truppe verzichteten aber viele auf den Trip nach Prag. Zum Vergleich: Die Schweiz - nur einen Rang vor Deutschland rangiert an der WM - absolvierte in der gleichen Zeitspanne elf Länderspiele und diverse Trainings-Zusammenzüge.
Mit Verwunderung wurde letzte Woche das deutsche Aufgebot für die WM-Qualifikation Ende Monat in Nijmegen (Niederlande) zur Kenntnis genommen. Die Namen von Fredrik Holtz (Storvreta, Schweden) und Kristian Holtz (KAIS Mora, Schweden) sowie des langjährigen Teammitglieds Sebastian Bernieck (Weissenfels, ehemals Chur) fehlten. Das privat geführte Unihockey-Portal fragte bei Cheftrainer Soutter nach und erhielt die Antwort «auf Wunsch des Sportdirektors von Floorball Deutschland muss ich derzeit auf Stellungnahmen der Presse gegenüber bezüglich des Kaders verzichten».
Von da an, war Feuer im Dach. Unter dem Titel «Maulkorb für Herrentrainer Soutter» veröffentlichte das Portal einen sehr verbandskritischen Artikel. Kurz danach erläuterte Bernieck der «Mitteldeutschen Zeitung» die Gründe für seine Absage: «Das sind viele kleine Puzzleteile. Im Verband und in der Organisation um die Nationalmannschaft geht einfach immer wieder etwas schief und wir Spieler sind am Ende die Leidtragenden.» Als Beispiel nannte der 23-Jährige das Beispiel der WM-Qualifikation: «Am 28. Dezember haben wir eine E-Mail erhalten, in der wir aufgefordert wurden, bis zum 30. Dezember zu antworten, ob wir für den erweiterten Kader zur Verfügung stehen. Das gleiche Spiel am 7. Januar, als die verbleibenden Akteure am selben Tag bis zum Abend zurückschreiben sollten. Wer soll denn da bitteschön planen können? Da hat man doch keine Chance, noch etwas zu regeln, sei es das Freinehmen von der Arbeit oder die Finanzierung.»
Der Verband reagierte, zumindest auf die Maulkorb-Vorwürfe. In einem gestern erschienenen Communiqué wird Philippe Soutter wie folgt zitiert: «Ich möchte festhalten, dass ich von Floorball Deutschland im Allgemeinen und von Sportdirektor Moritz Moersch im speziellen noch nie einen Maulkorb erhalten habe. Es ging bei meiner kurzen, negativen Antwort an das „Unihockey-Portal" einzig darum, dass ich mit Moritz abgemacht habe, dass Stellungnahmen des Nationaltrainers gegenüber den Medien erst nach der offiziellen Kommunikation auf der Verbandsseite erfolgen.» Im Weiteren sei es auch schwierig Maulkörbe in seiner Grösse zu finden, liess Soutter ausrichten.
Die Verbandsspitze und das private Magazin haben sich mittlerweile ausgesprochen. Das Portal schaltete ebenfalls gestern seine Sicht auf die Dinge auf. Die Reaktionen auf den «Maulkorb»-Artikel und Berniecks klare Worte lassen aber darauf schliessen, dass viele unzufrieden sind mit dem Ist-Zustand. Für Gesprächsstoff am Final-4-Turnier - dem deutschen Pendant zum Cupfinal - auf der nur mit Fähre erreichbaren ostfriesischen Insel Föhr Ende Februar ist gesorgt. Auch kein billiger Spass: Die Pauschalpreise bewegen sich zwischen 39 Euro (eine Übernachtung im 6er-Zimmer der Jugendherberge) und 255 Euro (zwei Übernachtungen im Hotel mit Meerblick).
Sicher ist, dass die mittlerweile öffentlich geführte Debatte dem Ansehen des um Anerkennung kämpfenden Verbandes - die Aufnahme im deutschen olympischen Sportbund fehlt nach wie vor - nicht hilfreich ist. Zu hoffen ist einfach, dass die vielen Worte der letzten Tage nicht tatenlos verhallen, sondern zum Umdenken animieren und die Kritiker nun auch Taten folgen lassen. Es gibt auch positive Ansätze: Die deutschen Frauen kämpften sich an der WM in Tschechien in den Viertelfinal vor und verteilten statt Maulkörben Blumen.