Hoffnungsträger Weber
Samstagabend in der Churer Gewerbeschule. Die einheimischen Unihockeyaner mühen sich im letzten Qualispiel gegen die Zürcher Grasshoppers ab. Unihockey ist wieder ein gefragtes Thema an den Stammtischen der Bündner Metropole. 520 Zuschauer lockt die unbedeutende Partie immerhin an, knapp Tausend erschienen zum Derby gegen Malans im November. Erwärmen können sich die Schaulustigen am Gebotenen aber nicht. «Jetz spiel amol dä Ball!» ereifert sich ein graumelierter Mittvierziger mit rotem Kopf. Artikel lesen
Hoffnungsträger Weber
Als Spieler eine Legende, als Trainer (noch) ein Zauberlehrling. Reto Weber (31) versucht Chur Unihockey wieder das Gewinnen beizubringen.
TEXT: RETO VONESCHEN
FOTOS: ERWIN KELLER
Samstagabend in der Churer Gewerbeschule. Die einheimischen Unihockeyaner mühen sich im letzten Qualispiel gegen die Zürcher Grasshoppers ab. Unihockey ist wieder ein gefragtes Thema an den Stammtischen der Bündner Metropole. 520 Zuschauer lockt die unbedeutende Partie immerhin an, knapp Tausend erschienen zum Derby gegen Malans im November. Erwärmen können sich die Schaulustigen am Gebotenen aber nicht. «Jetz spiel amol dä Ball!» ereifert sich ein graumelierter Mittvierziger mit rotem Kopf. Die Churer Abwehr hat ihre Mühe mit dem aufsässigen Forechecking der Zürcher Marathonläufer - die Grenzen zwischen Geniestreich und Leichtsinn sind fliessend. Immer wieder laufen die Bündner einem Rückstand nach. Kaum wird der Ausgleich erzielt, wird ein Hopper vor dem Tor vergessen. Erst gegen Schluss brennt das bekannte «feu sacre» wieder. Captain Marcel Kaltenbrunner wird trotz grossen Schmerzen eingewechselt, auf der Tribüne werden die Kuhglocken hervorgeholt. Der Lärmpegel steigt, eine Minute vor Spielende drischt der fliegende Verteidiger Lulzim Kamaj die Kugel zum 7:7 Endstand in die Maschen. Das Leiden hat ein Ende.
Der Vulkan
Mittendrin steht Reto Weber. Nur Sekunden vorher hatte er seine Mannen zusammengenommen, ihnen erklärt wie sie seinen Spezi Mark Wolf im Zürcher Tor überlisten können. Zuvor litt er mit seinen Spielern mit. Mal anpeitschend an der Bande, mal händeringend den Unihockeygott um Hilfe rufend, mal nachdenklich hinter der Bank stehend. Er hat viel gelernt in dieser Saison. Der Vulkan brodelt zwar heftig - eruptiert hat er aber immer seltener. «Ich schaffe es immer besser meine Energie zu kontrollieren» erklärt er hinterher. Manchmal muss er aber seinem Unmut Luft verschaffen. So wie dann, als seine Mannschaft willenlos zusah, wie Köniz innert sieben Minuten drei Tore erzielen durfte. Beim nachfolgenden Time-Out zitterten sogar die Gläser in der Festwirtschaft. Nach zwei Dritteln führte Chur 9:3...
Nach dem Spiel ist noch lange nicht Schluss für Weber. In den Katakomben, dort wo die wahren Emotionen gezeigt werden und auch mal der Tarnanzug hervorgeholt wird, beginnt für ihn das vierte Drittel. Dort nimmt er mit den Schiedsrichtern nochmals das Spiel auseinander, diktiert dem Journalisten sein Fazit in den Notizblock, klopft den Spielern auf die Schultern und lässt sich von einer ETH-Studentin einen Fragebogen erklären. Alles mit einer Bärenruhe und immer mit einem träfen Spruch begleitend. Typisch «Heto» halt.
Die zweite Heimat
Szenenwechsel. Zwei Tage später treffen wir den Churer Cheftrainer zum Interview in der Gewerbeschule. «Meine zweite Heimat» wie er scherzend anfügt. Seit 1998 arbeitet er - mit einem «Schwedenjahr» Unterbruch - hier als Turn- und Englischlehrer. Geduldig lässt er sich vom Fotografen ablichten, zieht zur allgemeinen Belustigung auch das Muskelshirt an («Das tragen sonst nur unsere «Möchtegern-Büchsen»). Im Lehrerzimmer halten wir dann Rückschau auf vergangene Tage - damals als die GBC noch der Nabel der Schweizer Unihockeyszene war.
Als 17-jähriger trat er 1991 in die 1. Mannschaft von Rot-Weiss Chur ein, schon bald wurde er ein Leader auf und neben dem Feld. Bis 2003 hielt er Chur die Treue, nur eine Saison (1999/2000) spielte er in der «Fremde». In Schweden, bei Nerike Innebandy aus Örebro, machte er seine Reifeprüfung. «Es war eine Loslösung von zu Hause und von der gewohnten Umgebung, ich musste eine neue Sprache lernen und mich in einer neuen Umgebung zurechtfinden.» Mit Mark Wolf teilte er sich eine Wohnung. Weber lehrte ihn auch mal abzustellen, abzuschalten bei Niederlagen - im Gegenzug steckte ihn dieser mit seiner eisernen Disziplin an. «Wir trainierten bis zu neunmal pro Woche, gingen oft auch freiwillig auf die Bahn und in den Kraftraum. Torhüter sind tatsächlich anders - ohne Mark hätte ich todsicher viel weniger Extraschichten geschoben» erinnert er sich. Noch heute telefonieren die beiden oft nach Spielen.
Früh schon ein Leader
Buchstäblich auf dem Höhepunkt musste Weber seine Spielerkarriere beenden. Beim letzten Churer Meistertitel sprang ihm ein Mitspieler nach Simon Alders Verlängerungstreffer im Siegestaumel aufs Knie. Ein Kreuzbandriss war die Folge, trotz grosser Anstrengung reichte es nicht mehr zum sehnlichst erhofften Comeback. Er nutzte die Zeit, bildete sich weiter und übernahm von Andrea Engel die Elite Junioren Mannschaft von Chur Unihockey. Für ihn ein wichtiges Jahr. «Ich konnte wieder Abstand nehmen von der NLA.»
Eine Saison später war er bereits Trainer der 1. Mannschaft. Für ihn eine logische Entwicklung, auch wenn er sich ein weiteres «Lehrjahr» bei der Elite gut hätte vorstellen können. Bereits als Spieler hat er mitunter wie ein Trainer gedacht. Stimmen, die befürchteten, dass er als ehemaliger Mitspieler zu nahe an der Mannschaft stehe, sind mitt-lerweile verstummt. «Ich nahm schon damals als Captain eine spezielle Stellung in der Mannschaft ein» erklärt er. Das Elite Jahr tat sein übriges.
Sieger sind gesucht
Mittlerweile sind nur noch wenige Mitglieder der «Goldenen» Churer Jahre aktiv. Die Leitfiguren Tom Engel und Marcel Kaltenbrunner müssen immer öfter dem rebellierenden Körper nachgeben. «Der Winning Spirit fehlt momentan noch, nach Niederlagen ist die Verunsicherung zu schnell da» musste Weber mitt-lerweile feststellen. Die Unkonstanz macht ihm manchmal Kopfzerbrechen, «wir müssen versuchen, den schwächsten Moment unseres Spiels weiter nach oben zu treiben» umreisst er das dringendste Ziel.
Er will wieder Siegertypen heranzüchten. Typen wie er. «Ich weiss, was es braucht um zu gewinnen» erklärt er selbstbewusst. Schon in frühen Jahren hat er von Schleifern wie Marcus Cathomas oder Thomas Gilardi gelernt, was es braucht um Meisterschaften zu gewinnen. «Wir haben hart gearbeitet für unsere Titel. Hat der Gegner dreimal trainiert, machten wir halt vier Trainings.» Geprägt hat ihn auch ein Spruch von Eishockeytrainer Bill Gilligan. «Man kann nicht vom Genuss der Vergangenheit leben» steht noch heute in seinem Handy. Dass darauf die Melodie von «Eye of The Tiger» vom Boxfilm Rocky ertönt, passt ins Bild.
Leben auch ohne Sport
Unihockey bedeutet Weber viel, «aber nicht alles.» Schon früh hat er gelernt, auch mal abstellen zu können, an anderes zu denken. So zieht er sich liebend gern zuhause eine DVD rein oder trifft sich mit dem Nachbarn zu einem Schwatz. «Ich habe einen Bekanntenkreis, bei welchem nicht immer über Sport diskutiert werden muss.» Mit Nadia, dem ehemaligen Alligator-Fan, hat er zudem eine Frau gefunden, die ihn unterstützt und - falls nötig - auch mal aus der weiblichen Sicht berät. Die beiden haben 2005 geheiratet, «einfach weil mir soviel an dieser Frau liegt.» Nach einem Postenlauf hat er um ihre Hand angehalten, am Hochzeitsfest kam die halbe Unihockey-Schweiz zusammen, sogar «Fritte» Arvidsson kam aus Schweden angereist.
Mindestens ein Jahr will er noch Cheftrainer bleiben, «danach ist auch Nachwuchs möglich». Nach dem Gespräch packten die Webers ihre Koffer, um kurzfristig mit der Frauen-Nati nach Schweden zu reisen. Er als Teamleiter, sie als Physiotherapeutin. Auch so kann man das Eheleben gestalten.