Topskorer Nebensache
Dass Adrian Zimmermann (22) die Fassung verliert, kommt selten vor. Finnische Gegenspieler im Zusammenspiel mit tschechischen Schiedsrichtern sind wohl die einzige Kombination, die den Schlacks in Rage bringen. Dann setzt er sich auch mal vehement für Mitspieler sein. So wie dieses Jahr im Halbfinale des Czech-Opens, als die Espoon Oilers ihren Landsmann und neuen Wiler-Verteidiger Vesa Punkari mehrmals äusserst hart, aber ungestraft angehen durften. Ansonsten ist «Zimmi» einfach die Ruhe selbst. Artikel lesen
Topskorer Nebensache
Unter widrigen Umständen wurde Adrian Zimmermann Topskorer an der diesjährigen Weltmeisterschaft. Was «Zimmi» rund um die WM erlebte.
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Dass Adrian Zimmermann (22) die Fassung verliert, kommt selten vor. Finnische Gegenspieler im Zusammenspiel mit tschechischen Schiedsrichtern sind wohl die einzige Kombination, die den Schlacks in Rage bringen. Dann setzt er sich auch mal vehement für Mitspieler sein. So wie dieses Jahr im Halbfinale des Czech-Opens, als die Espoon Oilers ihren Landsmann und neuen Wiler-Verteidiger Vesa Punkari mehrmals äusserst hart, aber ungestraft angehen durften. Ansonsten ist «Zimmi» einfach die Ruhe selbst. Ihn als «Schlaftablette» zu bezeichnen, wäre aber ein grobes Fehlurteil. Der junge Mann weiss einiges zu erzählen: Der ehemalige Leichtathlet und Orientierungsläufer, der erst mit 16 mit Unihockey begann, gewann mit neun Toren und sieben Assists an der letzten Weltmeisterschaft trotz grossen Herzproblemen die Topskorerwertung.
Puls 300
Begonnen hatten diees vor zwei Jahren. «Bei einem Lauftraining hatte ich plötzlich Puls 300. Ich glaubte an einen Materialfehler und warf die Pulsuhr weg» erinnert er sich. Nochmals ein Jahr später die gleichen Symptome, wieder denkt sich Zimmermann nicht viel dabei. Im Unihockey-WK in Magglingen in diesem Frühling fühlte er sich dann aber sehr unwohl, hatte Schmerzen in der Brust und spürte, dass sein Herz zu fest schlug, ja manchmal richtiggehend «hämmerte». Nach dem EKG im Medical Centre Magglingens teilte ihm Herzspezialist Dr. Hintermann die Diagnose mit. «Er erzählte mir, dass eine kleine Herzwelle vor einer grösseren stehe und ich zwei Durchgänge zum Unterherzteil habe. Normal ist nur einer». So wurde der Puls nicht verflacht, sondern immer schneller, da ein Rundlauf entstand. Trat dieses Herzrasen auf, musste sich Zimmermann ausruhen und langsam atmen, bis sich der Puls wieder stabilisierte. Ein Herzfehler, den übrigens 10 % aller Spitzensportler haben.
Ungewissheit im WK
Diese Diagnose erhielt Zimmermann einen Tag vor Ende des WK's. Zuvor konnte er während drei Wochen nur wenig trainieren, war körperlich angeschlagen und litt an Schlaflosigkeit. «Die Ungewissheit was auf mich zukommt, war schlimm. Jedesmal dachte ich mir, das ist vielleicht dein letztes Training.» Er hatte bereits damit gerechnet, den Unihockeystock für immer in die Ecke stellen zu müssen. «In dieser Zeit befasste ich mich intensiv mit mir selber und stellte mir oft die Frage: Wann ist es fertig?» Doch er hatte Glück. Da keine akute Gefahr bestand, erlaubten ihm die Ärzte die Teilnahme an der WM und setzten den Operationstermin erst nach dem Turnier an. Mit Tabletten wurde versucht, den Puls zu stabilisieren.
Kontrolle nach jedem Drittel
Zimmermanns Körper sprang darauf aber nicht an. «Im ersten Spiel gegen Norwegen fing das Hämmern zehn Minuten vor Spielende wieder an.» Sofort stand der Teamarzt mit dem Herzhörgerät neben ihm. Ab sofort wurde nach jedem Drittel sein Puls kontrolliert. Noch zweimal meldete sich das Herz: Kurz nach dem Gruppenspiel gegen Schweden und in der zweiten Drittelspause des kleinen Finals. «Ich wusste, dass es kommen kann und habe es immer kurz vorher gespürt. Ich war immer froh, wenn es wieder vorüber war.»
Strapaziöse Operation
Zwei Tage nach der Rückkehr von Stockholm musste Zimmermann unters Messer. Siebenmal musste der Puls künstlich ausgelöst werden, bevor die Ärzte mit der Operation beginnen konnten. Zimmermann erlebte alles bei vollem Bewusstsein mit. Durch einen Einschnitt an der Leiste fuhren die Ärzte mit einem Verätzungsgerät zur Herzgegend, danach hiess es 30 Sekunden lang ruhig atmen, ehe der Durchgang geschlossen werden konnte. «Zum Glück hatte das Bett auf beiden Seiten ein Geländer» erinnert sich Zimmermann nur ungern an die Strapazen.
Unverkrampft an der WM
Heute kann Zimmi wieder beruhigt Sport treiben .Die turbulente Zeit hat ihn aber geprägt. «Die Gesundheit ist einfach das Wichtigste», ist ihm bewusst geworden. Dass er sich trotz allem in Schweden die Topskorer-Krone aufsetzen konnte, schreibt der Aetigkofer vor allem dem Umstand zu, dass er völlig unverkrampft war: «Ich hatte viel weniger Zeit mich intensiv auf die WM vorzubereiten, da die Diagnose so spät kam. So konnte ich in Schweden frisch von der Leber weg spielen». Wenigstens etwas Positives aus der ganzen Geschichte.
«Freude ins Training bringen»
Im Frühling hat er bei Wiler einen neuen Zwei-Jahresvertrag unterschrieben. Dort fühlt er sich pudelwohl: «Wir sind eine tolle Mannschaft. Auch wenn es im Training ab und zu kracht, spätestens unter der Dusche ist alles vergessen.» Mit vier Teamkollegen war er im Sommer in Ayia Napa in den Ferien.
Im Rampenlicht zu stehen ist nicht sein Ding. Er sieht sich nicht als Leaderfigur wie Matthias Hofbauer. Mittlerweile wird vom ehemaligen Junior aber mehr erwartet als noch früher. Er lässt sich dadurch nicht beirren. «Wichtig ist die Freude am Sport. Ist die mal weg, müsste ich mir etwas überlegen.» Das Ziel Schweden hat er immer noch im Hinterkopf: «Einmal ein anderes Land sehen, wäre reizvoll.»
Zwei Blackouts
Die nächsten zwei Jahre spielt er aber sicher beim SVWE. Die verpatzte letzte Saison ist abgehakt: «Wir hatten in den beiden letzten Spielen einen Blackout, anders kann ich mir unsere Leistung nicht erklären.» Mit den ersten drei Spielen war Zimmermann noch zufrieden. «Die beiden Heimspiele waren eine relativ klare Sache und im Auswärtsspiel war halt das Glück im Penaltyschiessen nicht auf unserer Seite. Im letzten Spiel zuhause lief vieles gegen uns. Sobald wir herankamen, schoss Alligator wieder ein Tor» ärgert er sich auch noch einige Monate später. In der neuen Saison will Zimmermann den Titel zurückholen. Vielleicht darf SF-Moderator Sascha Ruefer nach dem Playoff-Finale erneut «Ä riesä Chischtä» schreien, so wie damals am Europacup 2004, als Zimmermanns Zorro-Tor gleich mehrfach in Zeitlupe gezeigt wurde. Zu gönnen wäre es Zimmi allemal.