DER Rekordjäger
Als Thomas Engel mit Unihockey begann, machten viele seiner heutigen Mitspieler noch in die Windeln. 1989 startete in der dritten Mannschaft von Rot-Weiss Chur die Karriere des Ausnahmekönners. Es war die Zeit, als die Banden aus Holz waren, die Spieler aus zwei Stock-Modellen aussuchen durften und auch noch die Torhüter den «Säbel» schwangen. Im Tennisclub Chur hatte der damalige NLA-Spieler und heutige Präsident Ruedi Kunz die Brüder Andrea und Thomas Engel kennen gelernt und sie zum Wechsel überredet. Bereits früh zeigte sich der unbändige Ehrgeiz des jüngeren Engels. Artikel lesen
DER Rekordjäger
Thomas Engel: Rekord-Nationalspieler, Titel en masse und mit 32 immer noch top. Wir würdigen den erfolgreichsten Schweizer Unihockeyspieler.
TEXT: DAMIAN KELLER
FOTOS: UNIHOCKEY:CH
Als Thomas Engel mit Unihockey begann, machten viele seiner heutigen Mitspieler noch in die Windeln. 1989 startete in der dritten Mannschaft von Rot-Weiss Chur die Karriere des Ausnahmekönners. Es war die Zeit, als die Banden aus Holz waren, die Spieler aus zwei Stock-Modellen aussuchen durften und auch noch die Torhüter den «Säbel» schwangen. Im Tennisclub Chur hatte der damalige NLA-Spieler und heutige Präsident Ruedi Kunz die Brüder Andrea und Thomas Engel kennen gelernt und sie zum Wechsel überredet. Bereits früh zeigte sich der unbändige Ehrgeiz des jüngeren Engels. Im zweiten Jahr durfte er gegen Ende Saison regelmässig mit der 1. Mannschaft trainieren und machte sich Hoffnungen, an der Endrunde teilnehmen zu dürfen. Als der damalige Coach Viktor Scharegg ihm mitteilte, dass auf routiniertere Akteure gesetzt werde, brach eine kleine Welt beim damals 16-jährigen zusammen: «Ich war den Tränen nahe.»
VOLLE HALLEN IN DEN ERSTEN PLAYOFFS
Früh war klar, dass da ein Juwel reifte. Der ehemalige Mitspieler Andrea Darms erinnert sich: «Er hatte einen ganz anderen Stil, ein unglaubliches Stockhandling und schon damals eine stupende Technik.» In seiner ersten Saison im Fanionteam wurde er Schweizermeister, es folgten fünf weitere Titel in Serie. In besonderer Erinnerung blieben ihm die ersten Playoffs anno 1996: «Im dritten Halbfinalspiel gegen Basel sass ich verletzt 50 Minuten auf der Bank, schoss dann aber trotzdem im Powerplay das entscheidende Tor.» Die Verletzung holte er sich übrigens beim Einüben einer Freistossvariante: «Michael Fernström und ich sollten zusammenprallen, damit der dritte Mann überraschend schiessen kann. Leider rannte Fernström genau in mein Knie ...» Nicht vergessen hat er auch das damalige Finale gegen Torpedo Chur: «Die ganze Stadt war in Aufruhr, selbst das Schweizer Fernsehen berichtete
darüber. Die Halle war beim dritten Spiel so voll, sogar über den Spielerbänken sassen die Zuschauer auf den Sprossenwänden. » Als schönsten seiner zehn Titel bezeichnet er den von 2003: «Nach dem Cupsieg war die Saison ein Selbstläufer. Als Aussenseiter gewannen wir im vierten Spiel in der Verlängerung in der Zuchwiler Eishalle.»
CHUR IMMER TREU GEBLIEBEN
Es blieb der letzte Titel von Rot-Weiss Chur. Nach der missglückten Saison 2004 wurde die längst fällige Fusion mit Stadtrivale Torpedo eingeleitet. Das Projekt «Chur Unihockey» reizte ihn, trotzdem war lange nicht klar, ob er beim Start auch dabei sein konnte. Engel hatte sein Anwaltsstudium beendet, war auf Stellensuche und die Grasshoppers lockten mit einem Job in Zürich. Es zog ihn aber nicht in die grosse Stadt und mit etwas Glück fand er im Rechtsdienst der Bündner Steuerverwaltung Unterschlupf. Auch 2001 war ein Wechsel ein Thema. «Ich stand in Kontakt mit Balrog, doch man konnte mir keine Garantien für eine Wohnung und Arbeit geben.» So zog er damals eine längere Reise durch die USA vor, eine Entscheidung, die er heute vielleicht anders fällen würde: «Ein wenig bereue ich es schon, nicht in Schweden gespielt zu haben.»
WM-SILBERMEDAILLE ALS HÖHEPUNKT
Die internationale Karriere lief anfangs weniger wunschgemäss. Der feingliedrige Engel hatte Mühe sich gegen die stämmigen Gegenspieler durchzusetzen. Trotzdem wurde er 1994 bereits ins EM-Allstar Team berufen. Eine Ehre, die ihm auch an der WM 1998 zu Teil wurde. Die damalige Silbermedaille war der Höhepunkt seiner Karriere: «Nach dem Penaltyschiessen im Halbfinale gegen Finnland kamen unglaubliche Emotionen hoch, es hat einfach alles gepasst in diesem Spiel.» Ein Erlebnis war auch die Weltmeisterschaft 2004 im eigenen Land: «Ich hätte nie gedacht, dass das Schweizer Publikum für eine solche Ambiance sorgen kann.» Als Captain führte er die Nati an und noch heute ärgert ihn das Nichterreichen des Finals. «Wir hatten Urban Karlssons ‹Vollgas-Mentalität› verinnerlicht, leider war der Trainerstab aber taktisch überfordert. Vor allem der Assistenztrainerposten war zu schwach besetzt, aber Karlsson wollte wohl alleiniger Herrscher sein. Es stand im Halbfinale nach zwei Dritteln 3:3 und alles war offen, trotzdem herrschte in der Kabine ein Riesenchaos und eine unnötige Nervosität.»
«DER SCHLIMMSTE TAG IN MEINEM LEBEN»
Von seinen Trainern erwartete Engel so viel wie von sich selber. Bei Rot-Weiss hatte er mit Marcus Cathomas («Extrem stark im Coaching »), Ruedi Kunz («die besten Matchvorbereitungen») und Markus Wolf («taktisch sehr clever») sehr gute Übungsleiter. Bei der einzigen vorzeitigen Trainerentlassung war Engel aber massgeblich beteiligt. Mit dem Schweden Marcus Holm wurden die Churer 2004 nicht warm. Unglücklich im Halbfinale des Europacups ausgeschieden, in der Meisterschaft in der Abstiegsrunde, einzig der Cupsieg hätte die Saison noch retten können. Drei Wochen vor dem Final diskutierte der Mannschaftsrat eifrig und nach zwei Stunden war klar: Holm muss gehen. Thomas Engel fiel die «Ehre» zu, dem Schweden dies mitzuteilen. «Nach dem präsidialen Segen bat ich Holm zum Gespräch. Dieser ahnte nichts und ich musste ihm sagen, dass wir ohne ihn an den Cupfinal gehen. Es war der schlimmste Tag in meinem Leben».
LEGENDÄRE AMOKLÄUFE
Dass ausgerechnet er die Hiobsbotschaft überbringen durfte, war kein Zufall. Engel ist keiner, der sich mit halben Sachen zufrieden gibt. Sein Ehrgeiz trieb ihn immer wieder zu Höchstleistungen an. Die Duelle im Keller des Elternhauses gegen den älteren Bruder sind mittlerweile Legende und noch heute rötet sich die Kopfhaut, wenn das Spiel nicht so läuft, wie es sollte. Auch seine «Amokläufe» im Training sind legendär und gefürchtet, unkonzentrierte Mitspieler sind ihm ein Gräuel. Ex-Captain Darms: «Thomas und Andrea konnten sich grauenhaft aufregen, wenn Teamkollegen nur mit halbem Einsatz trainierten.» So soll es Spieler gegeben haben, die mit einem Schaltrainierten, damit sie sich nicht erkälteten, wenn die Brüder an ihnen vorbeirannten ... Engel: «Solche Wutausbrüche braucht es wohl einfach von Zeit zu Zeit. Das weckt die Mannschaft auf. Aber ich möchte betonen, dass ich bis heute nur drei Stöcke zerschlagen habe!».
ABSCHIED GEPLANT
Mit seinem introvertierten Wesen galt Engel lange als arrogant und überheblich, selbst die renommierte Zeitung «Sport» fragte sich 1998: «Ist Thomas Engel ein arroganter Bengel? » Bis heute hat er kein Bedürfnis, es allen Recht zu machen. Er ist ein Winnertyp, der dem Erfolg vieles unterordnet. Engels Erklärung: «Ich bin weder arrogant noch überheblich, im Gegenteil. Vieles entstand damals aus Neid.» Im Kreis der Vertrauten kann er durchaus aufblühen. Viele seiner Kollegen stammen aus der Unihockeyzeit, «ich habe es langsam aufgegeben Freundschaften ausserhalb des Sports zu pflegen. Der Sport nimmt einen so stark in Anspruch, dass dafür kaum Zeit bleibt». Ab nächstem Frühling sollte er mehr Zeit dafür haben. Eine Saison ganz ohne Unihockey hat er sich vorgenommen, Bruder Andrea will ihm Golf beibringen. Irgendwie kann man sich das fast nicht vorstellen: Chur Unihockey ohne Tom Engel? Diese Lücke wird nur schwer zu füllen sein.