Churer Pascha
Mit sieben Schwestern aufgewachsen, war Lulzim «Lulla» Kamaj 24 Jahre lang ein verwöhnter Pascha. Die Eltern und die Schwestern taten alles für ihn er musste gerade mal die gewaschenen und gebügelten Kleider noch in den eigenen Schrank räumen. «Da hatte ich mein eigenes System» erklärt er und lacht dabei. Etwas Warmes auf dem Tisch um 22 Uhr nach dem Training? Kein Problem im Hause Kamaj. «Ich gebe es ja zu ich bin die ganze Zeit verhätschelt worden, habe wie ein Sultan gelebt.» Artikel lesen
Churer Pascha
Ein verhätschelter Sultan wird erwachsen. Der Umzug von Chur nach Zürich macht sich bezahlt. Dies freut auch die Nati-Trainer.
TEXT: DAMIAN KELLER
FOTOS: ANITA TROLLER
Mit sieben Schwestern aufgewachsen, war Lulzim «Lulla» Kamaj 24 Jahre lang ein verwöhnter Pascha. Die Eltern und die Schwestern taten alles für ihn - er musste gerade mal die gewaschenen und gebügelten Kleider noch in den eigenen Schrank räumen. «Da hatte ich mein eigenes System» erklärt er und lacht dabei. Etwas Warmes auf dem Tisch um 22 Uhr nach dem Training? Kein Problem im Hause Kamaj. «Ich gebe es ja zu - ich bin die ganze Zeit verhätschelt worden, habe wie ein Sultan gelebt. Wenn man immer alles bekommt und so aufwächst, empfindet man das auch als normal. Auch für meine Schwestern war es normal, es entsprach einfach der Tradition».
Aus dem Kosovo geflohen
Lullas Vater war als Jurist und Politiker im Kosovo aktiv und flüchtete in den 70-er Jahren mit seiner Frau in die Schweiz. Alle acht Kinder sind in der Schweiz geboren, die albanischen Familienwerte wurden aber trotzdem hochgehalten. «Meine Freunde, die zu mir zu Besuch kamen und nach allen Regeln der Kunst bedient wurden, konnten es jeweils gar nicht fassen. Das war wie eine andere Welt für sie und ich natürlich einfach ein fauler Sack». Lulla ging in die Albaner-Schule, mit den Eltern spricht er albanisch - mit den Schwestern aber deutsch. Die Eltern möchten gerne eines Tages in den Kosovo zurück. Und Lulla? «Ich bin hier geboren, aufgewachsen und besonders durch den Sport integriert
worden, wie man so schön sagt. Meine Wurzeln sind hier». Als während des Krieges auf dem Balkan der Grossvater starb und die Familie nicht zur Beerdigung reisen konnte, war die Trauer gross. Auch bei Lulla, der den grössten Teil der Familie nur von Fotos her kannte. Zweimal ist er seit Kriegsende im Kosovo auf Verwandtenbesuch gewesen. «Es war ein komisches Gefühl. Etwas fremd, gleichzeitig auch ein Stück Heimat. Aber leben könnte ich dort nicht, ich gehöre in die Schweiz».
Der Umzug
Nach 24 Jahren in Chur hat Kamaj den Sprung nach Zürich gewagt. Viele glaubten, dass er nach zwei Wochen schon wieder in Chur auf der Matte stehen würde. Aber dem ist nicht so. «Ich musste einfach von zu Hause weg, wo alle Probleme für mich gelöst wurden. Einen eigenen Haushalt führen, auf eigenen Beinen stehen und etwas neues sehen - in Chur kenne ich jede Ecke, in Zürich ist vieles neu». Was geblieben ist: Die Freude am Leben. Ohne gelegentlichen und intensiven Ausgang geht es bei Lulla nicht. Bei Chur Unihockey hatte er zusammen mit Simon Capaul, Jan Binggeli, Olba Oilinki und Miro Hanzlik den «Ausgangs-Block» gebildet und auch in Zürich werden die Nächte manchmal kurz. «Meine Leistung auf dem Platz stimmt - solange das so ist, geht das andere niemanden etwas an» sagt Kamaj. Die Leistung stimmt in der Tat schon seit Jahren. In Churs Verteidigung wird er schmerzlich vermisst und die Skorerwerte (in den letzten fünf Jahren im Schnitt 20 Punkte pro Saison) waren meistens beeindruckend. Trotzdem eckt ein Spieler mit dieser Einstellung natürlich auch an - Ex-Nati-Trainer Urban Karlsson etwa beschied ihm, dass er charakterlich für die Nationalmannschaft nicht genüge. Die Heim-WM 2004 fand ohne Kamaj statt, obwohl er bei seinem Debut gegen Schweden (unter Karlsson) gleich zwei Treffer erzielt hatte. «Vielleicht ist es etwas naiv, dass ich meine Einstellung so offen präsentiere - aber ich bin ehrlich und
direkt. Man kann auch mir ins Gesicht sagen, wenn einem etwas nicht passt. Was ich hasse sind Arschkriecher - und ich glaube, damals sind einige davon in der Nati gewesen, es waren jedenfalls nicht die Besten an der WM. Denn da hätte ich dazu gehört».
Comeback in Nati
Auf Karlsson ist Lulla denn auch heute noch nicht gut zu sprechen. Auch unter Nachfolger Markus Wolf gab es keinen Natispieler Kamaj. «Wolf war damals Assistent, er hätte doch sicher etwas unternehmen können. Ich war im Stolz verletzt und wollte nicht zurück, auch wenn sich Wolf ehrlich darum bemüht hat». Erst unter Düggeli / Brendler zog sich Kamaj wieder das Nati-Shirt über. «Düggeli kenne ich schon von Torpedo her - und Brendler ist für mich der beste Motivator, den ich je getroffen habe» meint Kamaj. Am Anfang war er noch skeptisch und musste sich von den GC-Trainern zum Comeback überreden lassen - aber jetzt ist er voll und ganz bei der Sache. Das Ziel heisst Tschechien 2008. «Wenn ich die Nationalhymne höre, bekomme ich Gänsehaut. Ich will kämpfen und alles dafür geben, an der WM mehr als einfach eine Medaille zu holen. Ich habe nicht verstanden, wie man über die Bronzemedaille in Schweden so jubeln konnte - von mir aus könnte man Bronze den Tschechen gleich schenken».
Mit GC auf Kurs
Bei den Hoppers läuft bisher alles nach Plan, die Zürcher sind trotz einer noch nicht berauschenden Offensivleistung und elf zu integrierenden Zuzügen wieder auf Playoff-Kurs. Mit Luca Maffioletti und Assistenztrainer Franco Battaglia hat Kamaj zwei ehemalige Torpedo-Spieler angetroffen. An das erste Treffen mit Battaglia erinnert er sich lachend zurück: «Ich war der Star der Torpedo-Junioren, habe einmal 21 Tore in einem Spiel geschossen. Dann kam ich mit 17 in die erste Mannschaft und als erstes im ersten Training sagte mir dieser Battaglia, ich solle Bälle einsammeln gehen. Ich dachte nur: Wer bist denn du und was ist mit dir los?» Der damalige Torpedo-Trainer Peter Düggeli machte aus dem Stürmer Kamaj einen Verteidiger - und stellte ihn ausgerechnet an die Seite von Battaglia...
Die Sprüche gingen Kamaj nie aus, er schaffte es aber im Verlauf der Jahre, an den grossen alten Männern des Churer Unihockeys zu reifen. An Daniel Telli und Gianni Alt noch bei Torpedo, später Tom Engel beim fusionierten Verein. «Bei Torpedo spielte ich einfach zum Spass. Ich kannte auch kaum andere Spieler, die waren mir egal. Aber vor allem von Daniel Telli habe ich viel gelernt, besonders in der letzten Saison von Torpedo vor der Fusion. Dass wir damals so schlecht waren ging auch mir an die Nieren». Der Ehrgeiz, etwas zu erreichen, einen Kübel zu gewinnen, wurde grösser. In der letzten Saison hat Kamaj Playoff-Luft schnuppern können. Das macht Lust auf mehr.
Lorendahl als Mentor
Von Kamaj erwartet man bei GC viel. Aber auch ein Nati-Spieler kann noch dazu lernen. Vor allem, wenn man einen dreifachen Weltmeister wie Henrik Lorendahl als Verteidigerkollege hat. «Wie bei Tom Engel fasziniert mich die Energie, die Lorendahl als 32-jähriger noch hat. Und er findet auf dem Platz immer die richtige Lösung» beschreibt Lulla den Schweden. «Beim Wechsel setze ich mich oft auf die Bank, will ausruhen und etwas trinken - da kommt Henrik mit der Tafel, neuen Varianten und Verbesserungsvorschlägen. Nicht wie ein Lehrer, er fragt mehr. Diese Art weiss ich sehr zu schätzen. Und sie bringt mich dazu, mir auch mehr Gedanken zu machen». Der Instinktspieler Kamaj beginnt zu überlegen? Das müsste GC und die Nati- Trainer freuen.
Zudem in der gedruckten Ausgabe:
«Lulla hat im Kraftraum immer oben ohne trainiert. und prinizipiell nur Übungen für den Oberkörper.» Was andere über Lulla sagen.
Plus: Kamaj im Interview.