Mehr als nur Theater
Du wirst als Trainer nie Erfolg haben, weil du zu intelligent für deine Spieler bist» sagte der ehemalige Rot-Weiss Chur Schwede Mikael Fernström zu Philippe Soutter vor ein paar Jahren. Tatsache ist: Soutter ist ein spezieller Trainer. Von sich selber sagt er, dass er mehr von Autos, Musik, Filmen, Essen und Trinken verstehe als von Unihockey. Punkte und Medaillen interessieren ihn nur am Rande. Artikel lesen
Mehr als nur Theater
Philippe Soutter ist ein Exzentriker der besonderen Art. Wir werfen einen Blick hinter die Fassade.
TEXT: Damian Keller
FOTOS: Anita Troller
Du wirst als Trainer nie Erfolg haben, weil du zu intelligent für deine Spieler bist» sagte der ehemalige Rot-Weiss Chur Schwede Mikael Fernström zu Philippe Soutter vor ein paar Jahren. Tatsache ist: Soutter ist ein spezieller Trainer. Von sich selber sagt er, dass er mehr von Autos, Musik, Filmen, Essen und Trinken verstehe als von Unihockey. Punkte und Medaillen interessieren ihn nur am Rande. Seine Spieler lässt er monatlich im internen Bereich der Rychenberg-Website den Spieler des Monats wählen, inklusive schriftlicher Begründung. Er versucht seinen Spielern, seinem Team und manchmal dem ganzen Verein eine Philosophie zu vermitteln. Eigentlich kein Wunder, dreht sich doch vieles in seinem Beruf um das kreieren von Marken, neudeutsch Brands. Zu Soutter passt, dass er zum Thema Philosophie im Rahmen von J&S-Kursen Lektionen gibt, ohne je selber einen Leiterkurs absolviert zu haben. Und zu Soutter passt auch, dass wir für dieses Portrait eine spezielle Form gewählt haben. Abweichend vom üblichen Verfahren (die portraitierte Person kann den fertigen Artikel gegenlesen und wenn nötig vor dem Druck Änderungen anbringen) haben wir ihm die Gelegenheit gegeben, quasi «live» in den Bericht einzugreifen. Ohne Zensur. Wir werden ja sehen... Seine Kommentare sind entsprechend farblich markiert.
Der Exzentriker
Für die musikalische Untermalung seiner Beerdigung schlägt Philippe Soutter selbstironisch den Song «I was the man who was too loud» von Frank Black vor. Soutters prachtvolles - oder eben sehr lautes - Stimmorgan hat in der Tat schon manche Hallenwand zum erzittern gebracht. Beim Foto-Shooting im feudalen Zürcher Opernhaus hatten wir Angst, dass er von einem umtriebigen Intendanten vom Fleck weg engagiert werden könnte. Ich hätte als Intendant wohl eher Photographin Anita engagiert. Möglichweise sogar für eine etwas schlüpfrige Produktion. So wie die sich lasziv auf dem Boden herumwälzte. Immer mit der fadenscheinigen Ausrede, ein gutes Photo zu kriegen. So kennen ihn unzählige Fans der Szene: Schwarzer Mantel, getönte Brillen, fast schon obszön grosse Ringe, laut. Ein Exzentriker, wie er im Buche steht, auffallend in jeder Beziehung. Er ist Auto-Freak durch und durch, hat für Lamborghini ganze Marken-Pavillons konzipiert und realisiert und für General Motors die Auftritte an Motor-Shows betreut. Momentan entwickelt er mit Gleichgesinnten einen Buggy für die Dakar-Rallye, nachdem sich ein dramatisches Stealth-Speedboot am Gardasee schon im Bau befindet. Da ist man natürlich viel mit dem Auto unterwegs und es erstaunt nicht, dass Soutter gelegentlich heftig geblitzt wird. Ich weiss, dass einige furchtbare Geschichten kursieren. Das traurige daran ist, dass sie stimmen. Aber mittlerweile bin ich deutlich ruhiger unterwegs. 300 km/h und mehr auf öffentlichen Autobahnen sind wirklich nicht schlau. Oder der Tacho war kaputt. Dass Tempobolzerei auf öffentlichen Strassen alles andere als ein Ruhmesblatt ist, wird er in seinem Kommentar hoffentlich selber bestätigen. Ich sage nichts mehr ohne Anwalt.
Dämonen besiegen
Man glaubt Soutter sofort, wenn er sich als Mensch bezeichnet, der zu Exzessen neigt. Er listet auf: «Ich habe zu viel gegessen, zu viel getrunken, zu viel gearbeitet, bin zu schnell gefahren. Ich besass einmal neun Autos, gleichzeitig versteht sich, für die ich ein Vermögen ausgegeben habe. Für ein von Petronas finanziertes Motorrad-Projekt habe ich über Monate im Schnitt 17 Stunden pro Tag gearbeitet». Die Aufzählung ist nicht abschliessend, und die Ausschweifungen haben vor Jahren, nicht überraschend, zu einem Burn-Out geführt, das zu überwinden nicht leicht war.
Im Alter von bald 45 Jahren hat Fürio, Dieser Name kommt davon, weil ich in einer Bar an einer Kerze einmal Feuer gefangen hatte. Ich wurde von der Freundin des damaligen Radball-Nati-Trainers gelöscht. Dessen Frau las davon in der Zeitung. Er hatte dann zuhause ein Problem wie er im Freundeskreis genannt wird, nun eine gewisse Sehnsucht nach Normalität ereilt. Die Zeit der Exzesse soll vorbei sein, Soutter will die eigenen Dämonen besiegen. Er hat im letzten Sommer angekündigt, im Verlauf dieser Saison sein Gewicht halbieren zu wollen - sein Team könnte ihm die Aufgabe mit der Saisonverlängerung, sprich Playoff-Qualifikation, etwas erleichtern. Bei wichtigen Meetings lässt er sogar den grossen Totenkopf-Ring zu Hause. Auf die Frage, ob zu einem «normalen» Leben auch Frau, Haus und Hund gehören, meint er nur: «Der Hund fehlt noch. Ich schwanke zwischen zwei Afghanen und einer französischen Bulldogge».
Hinter die Fassade schauen
Angesichts der bisherigen Schilderungen kann man verstehen, dass sich der ehemalige Nati-Spieler Flurin Bösch im Rahmen des Trainingslagers von Rot-Weiss in Davos einmal mit den Worten zu Soutter an den Tisch gesetzt haben soll: «So, jetzt will ich mal sehen, ob du wirklich so ein Arschloch bist, wie viele sagen». Nach der folgenden mehrstündigen Diskussion war «Fluppi» dann vom Gegenteil überzeugt. Und so geht es vielen, die mit Philippe Soutter näheren Kontakt haben. Das extravagante Äussere geht einher mit viel Fachwissen, Sensibilität und Humor. Soutter versucht, seine Spieler nicht nur sportlich, sondern vor allem in der persönlichen Entwicklung zu fördern. Ob dies ein sehr familienbezogener und zum ersten Mal in der Fremde weilender Berner wie Cédric Rüegsegger ist, der Finne Heikki Rantala, der nach einem halben Jahr doch noch richtig aufgetaut ist oder Simon Eichmann, der eher konservative, vorsichtige Tösstaler. Soutter nimmt sich die Zeit für die Einzelgespräche. Jeder Spieler hat das Recht zu spüren, dass ein Trainer seine Situation kennt, dass er ihm klare Aufgaben stellt, welche er Schritt für Schritt erfüllen kann und dass er ein entsprechendes Feedback erhält. Es lohnt sich, hinter die Fassade des Unihockey-Veteranen zu schauen, welcher mittlerweile in seiner einundzwanzigsten Saison als Trainer steht.
Verhasstes Wort «Potenzial»
Eigentlich waren wir mit dem Vorsatz an das Portrait herangegangen, 20 Jahre Unihockey Revue passieren zu lassen. Davon mussten wir schnell Abstand nehmen. Erstens sind wir von der Finalrunden-Qualifikation eingeholt worden. Zweitens gibt schon die Person Philippe Soutter genug her, um ein Buch zu schreiben. Und drittens drehte sich das Gespräch schnell um das aktuelle Tagesgeschen. Soutter macht sich Gedanken zur Zukunft des Unihockeys («Die schrittweise Semi-Professionalisierung wird das grosse Thema des nächsten Jahrzehnts sein»). Die Vereine müssen ihre «Vereinsgeistli-Früchtekorb-Mentalität» ablegen. Einige haben das kapiert, was man an deren NLA-Budgets sieht oder zur Situation im Nachwuchsbereich («Der Ausbildungsstand bei den Juniorentrainern ist grösstenteils dramatisch schlecht») oder zum oft missbrauchten Wort Potenzial. («Viele Trainer sehen das Potential und orientieren sich am maximal Möglichen, statt konkret an dem, was im Moment möglich ist»). Die Diskussion schweift aber auch ab zu «anderen Mängeln der Gesellschaft», zum Beispiel den Verzehr von Trauben, weil man diesen so die Chance nehme, zum Wein zu reifen.
In den höchsten Tönen lobt er dafür seinen Staff und die Ausbildungsarbeit von HCR Junioren-Trainer Urs Aeschlimann, aus dessen Schmiede sich eine ganze Gruppe auf dem Weg in Richtung NLA bewegen soll. Er freut sich zudem auf die Aufgabe als italienischer Nationaltrainer - nicht nur, weil italienisches Blut in seinen Adern fliesst, sondern weil ihn die Aufgabe reizt, auch konzeptionell zu wirken. Wäre es für einen strategisch denkenden Marketing-Menschen nicht naheliegender, Manager eines NLA-Vereins zu werden? Soutter winkt sofort ab. «Ich bin ein leidenschaftlicher Trainer» sagt er und fügt hinzu, dass ihm für nächste Saison schon einige Angebote ins Haus geflattert sind. Wir sind schon gespannt, wann und wo Fürio wieder an der Bande brennen wird.