Ausgabe 194, Dezember 2022 - Saison 2022/2023
Gold für die Fans, Leder für die Nati
Eigentlich war alles für ein grosses Fest in der Swiss Life Arena angerichtet. Die Schweiz legte zwar mit dem 4:4 gegen Norwegen einen Fehlstart hin, reagierte aber mit dem 7:5 über Finnland und entfachte eine kleine Euphorie. Sie zeigte, was in diesem Team steckt und was mit Entschlossen- sowie Geschlossenheit möglich gewesen wäre. Es folgte die Bewerkstelligung des 1. Ranges mit einem offensiven Feuerwerk gegen die Slowakei und der irgendwie überstandene, schwierige Viertelfinal gegen ein zähes Lettland. Auf jedes Szenario sei man vorbereitet, hiess es im Schweizer Lager vor dem Spiel des Jahres, dem Halbfinal gegen Tschechien. Tatsächlich gelang der Schweiz nach einem schnellen Rückstand mit zwei Toren eine angemessene Reaktion. Doch schon zum Ende des ersten Abschnittes zeichnete sich der Einbruch ab. Zwei vermeidbare Gegentreffer, die auf Stellungsfehler sowie ungenügendem Nachsetzen zurückzuführen sind, erbrachte Tschechien zur ersten Pause eine (leichte) Führung. Ab dem zweiten Drittel folgte der kollektive Zusammenbruch und eine 3:11-Klatsche. Die Schweiz hatte sich für die Heim-WM hohe Ziele gesetzt, scheiterte aber schmerzhaft. Am entscheidenden Final-Wochenende passte nichts mehr zusammen. Ein Umbruch in der Mannschaft ist unumgänglich.
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Leseproben zu dieser Ausgabe
Wöcke kann auch WM
Der beste Skorer der Weltmeisterschaft 2022 mit Schweizer Pass spielte für Deutschland. Michel Wöcke lieferte elf Tore ab, darunter einen Hattrick gegen Schweden.
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Kreatives Bollwerk
Zweimal innerhalb von elf Monaten Weltmeister zu werden, kann nicht jeder. Tobias Gustafsson ging seinen eigenen Weg und hat es geschafft.
Artikel lesenZweimal innerhalb von elf Monaten Weltmeister zu werden, kann nicht jeder. Tobias Gustafsson ging seinen eigenen Weg und hat es geschafft.
Gold. In Schweden zählt kein anderes Edelmetall, wenn es um Unihockey geht. Folglich war Tobias Gustafsson enttäuscht, als er bei seiner ersten Weltmeisterschaft in Riga 2016 nur Silber gewann. Als das Mutterland des Unihockeys zwei Jahre später in Prag den Finnen erneut zum Titel gratulieren musste, platzte Gustafsson der Kragen. Er wollte seine beiden Silbermedaillen entsorgen. „Meine Eltern dachten erst, das sei ein Scherz. Als sie merkten, dass es mir ernst war, nahmen sie mir die Medaillen weg und bewahrten sie in ihrem Haus auf", erzählt Tobias Gustafsson in der Lobby des Parkhotels in Winterthur, wo die Schweden bis und mit Viertelfinal der WM 2022 logierten.
Rückblickend ist er seinen Eltern dankbar. „Wenn ich später einmal meine Karriere Revue passieren lasse, werden auch diese beiden Medaillen ihren Wert haben, weil sie eine Geschichte erzählen und mit Menschen verbunden sind", sagt der 30-Jährige. Gold ist ihm trotzdem lieber. Deshalb nahm er an der WM in Helsinki im letzten Jahr das Heft gleich selber in die Hand und erzielte im Final gegen Finnland 97 Sekunden vor Schluss den wegweisenden Treffer zum 5:4, ehe Hampus Ahren per Empty-Netter den Sack zumachte. Die Goldmedaille brachte Gustafsson, der auch ins Allstar-Team des Turniers gewählt wurde, seinen Eltern. „Ich fand es nicht fair, dass sie nur die silbernen Auszeichnungen aufbewahren dürfen", sagt er lachend.
Im Eishockey aussortiert
Tobias Gustafsson träumte als Jugendlicher nie davon, eines Tages die schwedische Unihockey-Nationalmannschaft als Captain an eine WM zu führen oder sie gar zum Titel zu schiessen. Bis er 15 Jahre jung war, stand Eishockey im Vordergrund. Das Problem: Zu diesem Zeitpunkt war er nur 1.60 Meter gross. „In Schweden werden im Nachwuchs schon recht früh die besten Kräfte forciert. Mit meiner Grösse gehörte ich nicht dazu. Und wenn du nicht zu den Besten gehörst, verlierst du schnell den Glauben daran, es doch noch schaffen zu können", blickt Gustafsson zurück. Er fokussierte sich fortan aufs Unihockey, das er schon vorher parallel zum Eishockey gespielt hatte. Dass er in den folgenden Jahren innert kurzer Zeit fast 30 Zentimeter wachsen würde, konnte damals ja niemand wissen.
„Keine Ahnung, was aus mir geworden wäre, wenn ich dem Eishockey treu geblieben wäre", sagt der heute 1.87 Meter grosse Verteidiger. „Aber ich verspüre keine Reue. Ich wollte immer gut in allem sein, was ich mache - das ist mir im Unihockey nicht schlecht gelungen." In der Tat. Sowohl im Verein als auch im Nationalteam gilt er als kompromissloser Verteidiger, der sich immer wieder in die Offensive einschaltet. Ein kreatives Bollwerk.
Stetig aufwärts
Im Nationalteam verteidigt Gustafsson seit Jahren an der Seite von Robin Nilsberth, auch bei Storvreta waren die beiden während fünf Saisons ein Back-Paar und feierten zwei Meistertitel. Doch anders als Nilsberth, der schon die U19-WM 2007 in der Schweiz bestritt, wurde Gustafsson nie für Schwedens Junioren-Nati aufgeboten. Sein Aufstieg verlief langsamer - aber stetig - über die Allsvenskan in die SSL. In seiner dritten Saison bei Linköping wurden Rufe laut, er gehöre ins Nationalteam. „Spieler, die in unwichtigen Partien glänzen oder viele Tore schiessen, gibt es jede Menge. Die Nationaltrainer hingegen achten besonders darauf, wie sich Spieler unter Stress bewähren - vor allem in den Playoffs. Akteure von Falun oder Storvreta haben diesbezüglich die beste Plattform, weil sie seit Jahren bis in den Final vorstossen - damals gehörte aber auch Linköping zu den besten Teams der Liga", erinnert sich Gustafsson an seine internationalen Anfänge.
Letztes Jahr wurde er vom schwedischen Innebandymagazinet gar zum besten Spieler der Welt ausgerufen. Vor ihm war mit Emil Johansson erst einem Verteidiger diese Ehre zugekommen. Mit diesem Johansson teilt er sich heute alternierend das Captain-Amt - am 13. November stemmten die beiden innerhalb von elf Monaten zum zweiten Mal den WM-Pokal gemeinsam in die Höhe. Und die Goldmedaille dieser WM? „Die behalte ich jetzt mal für eine Weile bei mir", sagt Gustafsson in der Mixed Zone nach dem Endspiel. Seine Eltern werden es verstehen.
Das persönliche Interview lesen Sie in der gedruckten Ausgabe.
Inhalt
Kurznews
Mobi-Gala, Shopping in Singapur, Allstars aus zwei Ländern, Drama um Pylsy. Dazu wird gut gebrüllt.
Die Ernüchterung
Die Schweiz setzte sich für die Heim-WM hohe Ziele, scheiterte aber schmerzhaft. Am entscheidenden Final-Wochenende passte nichts mehr zusammen. Ein Umbruch in der Mannschaft ist unumgänglich.
Pingpong
unihockey.ch nimmt es mit Vanessa Koch (Piranha) und Marc-André Vogt (Wiler-Ersigen) kurz persönlich.
Aus zwei Welten
Alexander Rinefalk bestritt mit Thailand schon vier Weltmeisterschaften und gehört mit Lok Reinach zu den positiven Überraschungen NLB. Der Center hat in seiner Karriere schon viel erlebt - und das auf drei Kontinenten.
Alexander Rinefalk mit Thailand an der WM.
Wöcke kann auch WM
Der beste Skorer der WM 2022 mit Schweizer Pass spielte für Deutschland. Michel Wöcke lieferte elf Tore ab, darunter einen Hattrick gegen Schweden.
Wenn die Sicherheit abhanden kommt
Alligator Malans im Strichkampf? Ein ungewohntes Bild. Die Herrschäftler reagierten im Oktober mit einem Trainerwechsel und holten den letzten Meistercoach Akseli Ahtiainen zurück. Sportchef Thomas Hitz nimmt Stellung.
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Ihr Kinderlein kommet
Die Finnen wollen mit einem neuen Draft-System junge Talente in den Norden locken. Ob die Idee zum Fliegen kommt?
Kreatives Bollwerk
Zweimal innerhalb von elf Monaten Weltmeister zu werden, kann nicht jeder. Tobias Gustafsson ging seinen eigenen Weg und hat es geschafft.
Ein Duo will abheben
Nach drei NLA-Jahren bei Piranha Chur schnüren Laila Ediz und Marcia Wick ihre Schuhe neu in der Flughafenstadt. Mit den Jets wollen die 20-jährigen Bündnerinnen Titel holen.
Laila Ediz neu mit statt gegen Piranha Chur.
Kolumne
Sophie A. Mock erinnert sich an frühere Zeiten.