11.
2016
Der Praktikant aus Singapur
Muhammad Syazni Bin Ramlee aus Singapur hat beim Schweizer Rekordmeister SV Wiler-Ersigen ein Praktikum absolvieren dürfen. Der Nationalspieler erfüllte sich damit einen Traum.
An den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro hat Joseph Schooling eine aussergewöhnliche Geschichte geschrieben: Der 21 Jahre alte Schwimmer aus Singapur besiegte über 100 Meter Delphin den zehn Jahre älteren Michael Phelps - 2008 hatte Schooling den US-Superstar noch um ein gemeinsames Foto gebeten. Phelps bereitete sich damals im südostasiatischen Stadtstaat auf die Sommerspiele in Peking vor; Schooling, sein Fan, trainierte ebenfalls im lokalen Schwimmklub. Die bewegende Geschichte hat nach Singapurs erstmaligem Gewinn einer Olympia-Goldmedaille schnell die Runde durchs Netz gemacht.
An diese Geschichte fühlt man sich erinnert, wenn Muhammad Syazni Bin Ramlee auftaucht - nicht als Schwimmer, sondern als Unihockey-Spieler. Der 25 Jahre alte Mann aus Singapur hat vor zwei Wochen ebenfalls seine Idole getroffen, er lernte die Stars von Wiler-Ersigen sogar persönlich kennen. «Ein Traum ist in Erfüllung gegangen. Ich konnte einmal im Leben nach Europa reisen und einen Monat lang bei einem Schweizer Spitzenklub mittrainieren», sagt Syazni. Es sind bewundernde, ja zutiefst dankbare Worte, die der 28-fache Nationalspieler (16 Tore/10 Assists) im Sportzentrum Zuchwil von sich gibt. Der Unihockey-Exot muss sich gerade vorkommen wie Schooling damals im Jahr 2008, als er mit leuchtenden Augen zu Phelps aufgeblickt hatte.
Nervosität vor der Rückkehr
«Das Praktikum bei Wiler-Ersigen bereichert nicht nur mein Leben, die Trainingseinheiten bei diesem renommierten Klub führen mir immer wieder vor Augen, wie viel es braucht, um international kompetitiv zu sein», sagt Syazni ein paar Tage vor seiner Rückkehr in die Heimat. Um anzufügen: «Die Spielintensität, die Geschwindigkeit, die gedankliche Präsenz der Spieler - Wiler-Ersigen bietet Anschauungsunterricht vom Feinsten.» Der Hospitant aus Asien möchte seine Erkenntnisse in Singapur an die Teamkollegen in der Nationalmannschaft und an seine Schüler weiterreichen, die er als Unihockey-Instruktor ausbildet (siehe untenstehenden Text). Wie lautet sein Credo nach seinem Stage in der Schweiz? «Schneller spielen!», antwortet Syazni und lacht. Torschüsse, Pässe, Verschiebungen, Angriffsauslösungen, sofortiges Umschalten nach Ballverlusten - all diese taktischen und technischen Elemente würden in der Schweiz mit viel mehr Tempo praktiziert, meint der sympathische Sportler. Er werde im Training entsprechende Übungen vorzeigen, sagt Syazni, der in Singapur an vier verschiedenen Schulen unterrichtet. «Ich bin schon etwas nervös und frage mich: Habe ich Fortschritte gemacht? Meine Teamkollegen wollen mich in einer besseren Form sehen, wenn ich wieder zu Hause bin. Ich hoffe, dass ich sie nicht enttäusche.» Sollte Nationaltrainerin Sonia Chia die eine oder andere Frage haben, Syazni würde sein Wissen noch so gerne weitergeben.
Syazni spielt seit 13 Jahren Unihockey, seit neun Jahren im Nationalteam von Singapur. Er fand zufällig zu diesem Sport. «Erst hatten sie in meiner Schule die Fussball-Abteilung geschlossen. Ich begann, Landhockey zu spielen. Dann wechselte ich an eine andere Schule, die lediglich ein Unihockeyteam führte. Ich verliebte mich aber sofort in diese Sportart», erzählt Syazni.
Taktiktafel als Geschenk
Lukas Schüepp lobt den temporären Zuzug Wiler-Ersigens. «Syazni ist aufmerksam und wissbegierig. Er war schnell integriert», sagt der Nachwuchs-Verantwortliche des 10-fachen Schweizer Meisters. «Wir haben von Syazni auch lernen können», sagt Schüepp. «Sein Wagemut, ganz allein nach Europa zu kommen und der starke Wille, sich weiter zu entwickeln, sind inspirierend.» Schüepp attestiert Syazni, der überwiegend mit dem U-21-Team trainiert hat, gutes NLB-Niveau. Als Geschenk durfte der Mann aus Singapur eine Taktiktafel mit den Unterschriften seiner Vorbilder mit nach Hause nehmen.
Ehrgeiziges Ziel an der WM in Riga
Muhammad Syazni Bin Ramlee wird schon bald nach Europa zurückkehren. Singapur hat sich für die Unihockey-WM in Lettland qualifiziert. 16 Teams werden an den Welttitelkämpfen in Riga teilnehmen (3. bis 11. Dezember). Das kleine Land an der Grenze zu Malaysia mit seinen 1876 Lizenzierten (Schweiz: 32329) figuriert in der Weltrangliste auf Platz 18. Es holte sein WM-Ticket in der Asien-Zone - wie Asien-Meister Australien und Thailand (Dritter in der Qualifikation). Womöglich kommt es im Baltikum zum dritten WM-Treffen zwischen der Schweiz und Singapur. Syazni spielte bisher zweimal gegen die Eidgenossen. An der WM 2010 verlor Singapur in Helsinki gegen die Abgesandten von swiss unihockey 0:37; zwei Jahre später, an der WM in Bern, 0:35.
Syazni formuliert vor der WM ein ehrgeiziges Ziel: «Ich möchte den inzwischen zurückgetretenen Mohammed Hafeez als WM-Topskorer Singapurs ablösen.» Ein schwieriges Unterfangen: Hafeez hat an den Weltmeisterschaften 2010 und 2012 insgesamt 11 Skorerpunkte gesammelt (8 Tore, 3 Assists). Syazni hält gegenwärtig bei 3 Skorerpunkten (2 Tore, 1 Assists).
Dazu müsste Syazni eine aussergewöhnliche Geschichte schreiben - und vielleicht sogar in einem Spiel gegen die übermächtige Schweiz ein Tor erzielen. Das wäre dann eine ähnlich grosse Sensation wie der Sieg von Schwimmer Schooling über den grossen Michael Phelps.