11.
2018
Im Rollstuhl an die Weltmeisterschaft
Manuel Melder leidet an einer Erbkrankheit, die am ganzen Körper Muskelschwund verursacht. Davon lässt sich der 16-Jährige jedoch nicht unterkriegen. Letzten Monat ist er mit der Schweizer Nationalmannschaft im Powerchair-Hockey nach Italien an die WM gefahren.
An die Eingangstür des Mehrfamilienhauses ist ein Schild geklebt. «Tür öffnet automatisch!», steht da. Zehn Meter weiter vorne das Gleiche: Die Eingangstür zur Wohnung der Familie Kruithof-Melder surrt leise, während sie sich wie von Geisterhand öffnet. «Ich musste lange mit der IV streiten, bis sie uns grünes Licht für diese behindertengerechte Türöffnung gegeben haben», sagt Marjon Kruithof später. Sie ist die Mutter von Manuel Melder.
Im Wohnzimmer läuft der Fernseher im Hintergrund, eine weibliche Moderatorenstimme spricht auf Holländisch. Wie der Name Kruithof schon andeutet, kommt die 46-Jährige ursprünglich aus den Niederlanden. Sie ist geschieden und wohnt mit den beiden Kindern seit zehn Jahren in Kloten. Vom Eingang her ist wieder ein Surren zu hören. Der Sohnemann kommt von der Schule nach Hause.
Spendensammlung auf Facebook
«Ich bin zu Hause!», ertönt es aus dem Gang. Zwei Minuten später kommt Manuel ins Wohnzimmer. Er sitzt im Rollstuhl. Als Manuel etwa zwei Jahre alt war, bemerkte man, dass er nicht richtig springen kann. Typisch für Muskeldystrophie Duchenne (kurz DMD). DMD beginnt im Kleinkindalter und macht sich durch eine Schwäche der Becken- und Oberschenkelmuskulatur bemerkbar. Dies führt zu häufigem Stolpern und Fallen. Der Muskelschwund setzt sich über die Jahre fort, befällt Arme und Schultern. Im frühen Pubertätsalter können die meisten Betroffenen nicht mehr selbstständig gehen und sind auf einen Rollstuhl angewiesen. Irgendwann wird auch die Herz- und Atemmuskulatur abgebaut.
Der 16-Jährige lässt sich jedoch nichts anmerken. Etwas schüchtern, dafür mit breitem Grinsen, setzt er sich in die Runde. Grund zur Freude hat er momentan genug: Vergangenen Monat durfte er mit der Powerchair-Nationalmannschaft an die WM nach Italien fahren. «Wir waren eine Woche dort. Und das während der Schulzeit!», erzählt Manuel stolz und schiebt dann etwas kleinlaut nach: «Die verpasste Zeit muss ich jedoch nachholen.»
Als Manuel noch in einer besseren Verfassung war, spielte er Unihockey bei den Kloten-Dietlikon Jets. «Ich konnte nicht voll mitmachen, die anderen haben mich jedoch akzeptiert.» Mit zunehmender Einschränkung seiner Mobilität wechselte er vom Feldspieler zum Torhüter. «Ich spielte dort, bis ich elf war. Danach habe ich das Powerchair-Hockey in der Schule entdeckt.» Manuel geht im Mathilde-Escher-Heim, einer Institution, die sich auf Menschen mit körperlicher Behinderung spezialisiert, in die Oberstufe.
Powerchair-Hockey ist eine Behindertensportart, die sich in der Schweiz noch im Aufbau befindet. Es gleicht dem Unihockey sehr, mit dem Unterschied, dass die Spieler im Rollstuhl sitzen. Einem speziellen, der motorisiert und robuster gebaut ist sowie über eine spezielle Bereifung verfügt. «Ich habe in einem normalen Rollstuhl zu spielen angefangen, da ich keinen anderen hatte», sagt Manuel.
Mama Kruithof fügt jedoch schnell an: «Die IV sah das gar nicht gerne. Wir mussten also einen richtigen Powerchair haben.» Dieser kostet jedoch etwa 20 000 Franken. Zu viel für die alleinerziehende Mutter, denn die IV wollte sich partout nicht an den Kosten beteiligen. «Wir haben deshalb einen Spendenaufruf auf Facebook gestartet und innert kürzester Zeit 15 000 Franken bekommen. Teilweise von Leuten, die wir gar nicht kannten. Das war schon sehr berührend.»
Schweizer Schweissband und holländische Vorbilder
Mit neuem Sportgerät startete Manuel dann richtig durch. Er meldete sich zum Eignungstest für die Nationalmannschaft an und wurde prompt aufgenommen. «Ich bin der Jüngste im Team!», sagt er stolz. Auf seinem Handgelenk trägt er ein Schweissband mit der Schweizer Flagge. «Letzten Monat sind wir dann nach Lignano bei Venedig gefahren, um an der Weltmeisterschaft mitzuspielen.» Dort belegten sie letztlich den fünften Platz. Es wäre jedoch mehr drin gewesen. «Wir haben im ersten Spiel 5:9 gegen Italien verloren. Später haben wir jedoch gegen den aktuellen Weltmeister Holland 5:4 gewonnen.» Damit verpassten sie den Einzug in die Gruppe, die um die Plätze 1 bis 4 spielte, nur knapp. Manuel erzielte zwölf Tore an der WM und belegte damit Rang zwei der Torschützenliste.
Für die Zukunft hat der 16-Jährige grosse Pläne. «Ich will in zwei Jahren Europameister werden», sagt er bestimmt. «Ausserdem sollte Powerchair-Hockey paralympisch werden.» Auch ausserhalb des Feldes dreht sich bei ihm alles um den Sport. Er ist grosser Fan des EHC Kloten. Ausserdem ist die ganze Familie Formel-1-verrückt. Dort werden die Daumen jedoch dem Holländer Max Verstappen gedrückt. Für die Zukunft könnte Manuel sich vorstellen, Sportjournalist zu werden. «Ich würde mich dann den rollenden Reporter nennen.»
Quelle: Zürcher Unterländer, Dennis Andrew Frasch
Powerchair-Demo an der EFT in Neuenburg
An der EFT der Frauen in Neuenburg wird Powerchair-Hockey dem breiten Publikum präsentiert. Während den Drittelspausen der Samstagsspiele um 13 Uhr (Schweiz U19 - Schweden U19) und 16 Uhr (Finnland A - Tschechien A) gibt es eine Demo durch das Lausanner Team Whirldrivers Lausanne, das von der Unihockey-Spielerin Sophie Gnaegi (Captain des UC Yverdon, NLB) betreut werden.