01.
2003
René Berliat in Schweden - Es geht aufwärts!
Vor der Weihnacht standen noch die Spiele gegen das Erstplatzierte Västerås und das Drittplatzierte Trollbäcken an. Mittwochs ging es in das eineinhalb Stunden entfernte Västerås. An diesem Abend hatte ich von Anfang an ein gutes Gefühl, und die 2:1 Führung nach dem ersten Drittel bestätigte mir dies. Leider gelang es uns im Mitteldrittel nicht, gleich konsequent wie Västerås unsere zahlreichen Chancen auszunützen, ein 4:3 Rückstand war die Folge. Zwar versuchten wir im letzten Drittel nochmal alles, aber der Gegner war einfach besser, 4:8 die Niederlage. Der Einsatz und Teamgeist war an diesem Abend jedoch sensationell, darunter verstehe ich Teamlife. Trotzdem machte ich mir Sorgen, ob jeder am Samstag zuhause gegen Trollbäcken nochmal bereit war, genau so Vollgas zu geben. Also machte ich bei der Heimfahrt im Car nochmals mit jedem Spieler Einzelgespräche, und im Donnerstagtraining sprachen wir nochmal im Team darüber. Nach dem ersten Drittel stand es gegen die keineswegs schwachen Stockholmer Trollbäcken 4:1. Diesmal gab es kein Wenn und Aber, keine „Indianer“ im Team, wir zogen unser Spiel endlich mal bedingslos durch. Am Ende schaute ein toller 9:4 Sieg raus.
Berliat als unfreiwilliger
Troubadix
Noch am gleichen Abend fand zusammen mit der
Damenmannschaft ein Weihnachtsessen in einem Restaurant in unserer Halle statt.
Nach diesem Spiel war natürlich eine grandiose Stimmung. Im Verlauf des Abends
wurde ich dazu „gezwungen“, deutsche Weihnachtslieder vorzusingen... Am nächsten
Tag stand noch eine Mannschaftssitzung auf dem Programm, wo wir die Vorrunde
nochmal kurz beleuchteten und Ausblick auf die Zeit nach Weihnacht hielten. Die
Spieler erhielten ein Trainingsprograrmm, das über die Festtage zu absolvieren
war (zum Teil individuell oder mit dem Assistenztrainer). Ebenfalls anwesend war
der Vereinspräsident, der uns über finanzielle Probleme des Vereins informierte.
Für uns wird das die Konsequenz haben, dass wir in der Rückrunde mit den
Privatautos an die Auswärtsspiele reisen müssen... Am Dienstag flog ich dann
endlich, nach einem halben Jahr in Schweden, zurück Richtung Schweiz. In dieser
Zeit in Schweden war ich kein einziges Mal krank, aber kaum zuhause in Köniz
erwischte es mich. Ich glaube aber, dass es vor allem eine mentale Erschöpfung
war, der ganze Druck fiel für 3 Wochen von mir ab. Auf jeden Fall fühlte ich
mich 3, 4 Tage wie ein „Halbtoter“ und schlief sehr viel. Es war genial, alle
Kollegen und Kolleginnen wieder mal zu sehen, zu erzählen gab es natürlich
genug. Langsam wurde mir auch richtig bewusst, was ich im letzten halben Jahr
alles erlebt und geleistet hatte. Auch wenn es rein resultatmässig miserabel
aussah, hatte ich mir den Respekt von Mannschaft und Verein erkämpft.
Es ist
komisch, fast in zwei Welten zu leben. Ist man zu Besuch in der Schweiz, ist
Schweden in in Gedanken weit weg und umgekehrt öfters auch. So war es denn zum
Ende meines Weihnachtsurlaubes nicht ganz einfach, nach Schweden zurückzukehren,
mir war flau im Magen, in den erbarmungslosen Abstiegskampf zurückzukehren. Back
in Sandviken fühlte ich mich aber erstaunlicherweise sofort gut.
Sportlicher Erfolg stellt sich ein
Die
Pause hatte auch der Mannschaft gut getan, und es wurde durch die Woche
sensationell gut trainiert, so dass wir für den Abstiegsschocker auswärts gegen
Tillberga (liegt in Västerås) gerüstet waren. Es gab nur den Sieg, ansonsten
wäre die Lage aussichtslos geworden. Wir gewannen dieses Spiel der Angst mit 3:2
und erstaunlicherweise war unser Auftritt weit souveräner, als das Resultat
vermuten lässt. Nun wartete das Derby gegen Gävle, das in unserer Heimhalle
Jernvallen vonstatten ging. Seit 1996 hatte Alba kein Derby mehr gewonnen, und
mir war klar, dass es sich vorallem um ein mentales Problem handelte. Die
Spieler bekamen die Aufgabe, einen kleinen Vortrag über dieses „Phänomen“ zu
halten. Das Schöne war, dass die meisten die Lösung fanden. Alba war lange die
Nr. 1 hier in der Region und die Spieler hatten immer das Gefühl, als grosser
Favorit ins Spiel gehen zu müssen, ein Art „kleiner Bruder Komplex“. Vor 650
Zuschauern begann das Spiel schlecht und bereits nach 5 Minuten stand es 2:0 für
Gävle. Doch ich merkte, dass die Spieler wie in Trance ins Spiel gegangen waren,
alle waren total fokussiert. Wir glichen zum 2:2 aus und von da an waren wir
immer wieder ein Tor zurück, was wir postwendend ausglichen, bis es nach 2.
Dritteln 5:5 hiess. Nochmal machte ich die Spieler in der Garderobe heiss: „Wir
wollen 3 Punkte und nicht nur Einen, wir schaffen das, weil wir heute besser
sind!“ Und los ging das letzte Drittel. Plötzlich führten wir 7:5, aber Gävle
gab nicht auf, 7:7. Nun nahm ich das Time-Out, um dem Oberhand kriegenden Gegner
den Rhythmus zu brechen und unsere Jungs wieder auf den Sieg zu fixieren. Es
klappte, schlussendlich schaute ein 10:8 Sieg raus. Es war eines dieser
magischen Spiele, wo 15 Spieler inkl. Trainer und Betreuer bedingungslos in ein
Team verschmelzen. Viele Clubmitglieder waren völlig aus dem Häuschen, und ich
wurde noch selten nach einem Spiel von so vielen Leuten herzhaft umarmt. Am
nächsten Tag traute ich meinen Augen nicht, als ein grosses Bild unseres Spiels
farbig auf der Titelseite des „Arbetarbladet“ prangte, in der Schweiz kaum
vorstellbar...
Trefferreiche Spiele
Nochwas zu den
vielen Toren. Im Gegensatz zur Vorrunde entsprangen diese nicht mehr
grösstenteils aus Eigenfehlern, sondern vor allem aufgrund gelungener Aktionen
unsererseits oder des Gegners. Beidseits waren zudem die Torhüter nicht
besonders gut, sonst wäre das Resultat so 7:5 gewesen. Fürs Feiern blieb keine
Zeit, wartete doch schon das nächste Schicksalsspiel auswärts gegen das 1 Punkt
vor uns liegende Borlänge. Auch da fanden wir, gegen einen keinesfalls schwachen
Gegner, wieder die richtige Einstellung. 9:7 gewannen wir und waren meistens
Herr der Lage (unser Torhüter erzielte 2 Assist). Ärgerlich waren einmal mehr
die vielen unnötigen Gegentore, das wird diese Woche im Gespräch und Training
ein Thema sein. Obschon wir durch 4 Siege in Serie auf den sechsten Rang
vorgestossen sind, wartet mit dem punktgleichen Nykvarn bereits der nächste
Schicksalsmatch, liegen doch Tillberga und Borlänge nur 2 Punkte zurück... In
all diesen Schicksalsspielen immer ein guter Coach und Trainer zu sein, immer
positiv zu bleiben und im richtigen Zeitpunkt die bestmögliche Entscheidung zu
treffen ist nicht ganz einfach. Ich bin bis jetzt in diesen Bereichen mit meiner
Leistung wirklich zufrieden. Ich glaube das vieles auf meine persönliche
Matchvorbereitung zurückzuführen ist.
Matchvorbereitung à la Berliat
Wenn der
Match Sonntags ist gehe ich meistens Samstags ca. eine Stunde irgendwo in die
Natur spazieren, immer mit dabei mein Walkman. Für mich ist die Natur erlaubtes
Doping, dort hole ich die Ruhe, Kraft und den Mut, um im Spiel alles zu geben.
Abends gehe ich dann noch ins Kino oder kurz auf ein Kaffee in die Stadt. Vor
dem Einschlafen mache ich ein kurzes Mentaltraining, wo ich den ganzen nächsten
Tag durchgehe und mir vorstelle, wie ich mich gut fühlen werde. Sonntags, kurz
nach dem Aufstehen, gehe ich ca. eine halbe Stunde joggen. Das gibt mir ein
gutes Gefühl für den ganzen Tag. Danach esse ich ziemlich viel, um danach die
Matchrede zu schreiben und diverse Coachingsachen vorzubereiten. 2 Stunden vor
dem Spiel spreche ich zum Team, nach dieser Ansprache sollte alles klar sein.
Nun beginnt das Warten auf den Spielbeginn, das Mühsamste von allem. In dieser
Zeit bespreche ich mit dem Assistenten alle Eventualitäten des Spiels und mache
nochmal kurz Mentaltraining für mich persönlich. Dann schaue ich mir einen Teil
des Einschiessens an und versuche nochmal jeden Spieler kurz aufzumuntern. 10
Minuten vor dem Spiel sind alle in der Garderobe, nur noch aufmunternde Worte
und los geht´s. In den meisten Spielen bin ich wie in einem Tunnel, ich sehe nur
noch das Ziel und nehme ausser Spieler und Spiel nicht viel wahr. Dieser Zustand
geht nach dem Spiel oftmals in ziemlich grosse Erschöpfung über, ich glaube, das
viele ausgeschüttete Adrenalin zeigt so seine Wirkung...
Auch punkto Arbeit
sieht es endlich gut aus. Einer meiner Spieler ist selbständig und hat mich bis
Ende März als Desktop-Publisher bei sich angestellt, eine Arbeit die ich schon
in der Schweiz gemacht habe. So haben wir also die Situation, dass er am
Arbeitsplatz mein Chef ist, und in der Halle sind dann die Rollen vertauscht.
Die Arbeit kann ich mir zeitlich so einrichten, dass Training und Spiel
jederzeit vorgeht, eine sehr gute Situation!
So, das wärs wieder mal. Hoffe,
dass ich auch das nächste Mal von Siegen berichten kann. Der versprochene
Vergleich Schweden-Schweiz ist in Bearbeitung!