11.
2014
Faule Schweden und Taktik in Türkei
In zwei Wochen nimmt Florian Bolliger erstmals an einer Weltmeisterschaft teil. Dass der Hinteregger mit der Schweizer Nati nach Göteborg reisen darf, hat auch damit zu tun, dass er bei seinem neuen Klub in Schweden weiter Fortschritte gemacht hat.
Der Schweizer Nationaltrainer Petteri Nykky lässt sich nicht gerne in die Karten blicken. Nicht nur für Aussenstehende ist der schweigsame Finne ein Buch mit sieben Siegeln, sondern gelegentlich auch für seine eigenen Spieler. «Ich habe nie ein Feedback erhalten und wusste nicht, woran ich bin», sagt Florian Bolliger. Er habe lange ein schlechtes Gefühl gehabt. Als der Hinteregger am Montag von seiner ersten WM-Nomination erfuhr, war er dementsprechend erleichtert. Dabei ist der 24-Jährige seit zwei Jahren fester Bestandteil des Nationalkaders und zeigte auch zuletzt am Vierländerturnier in Finnland gute Leistungen.
2012 an der Heim-WM sass Bolliger noch als Zuschauer auf der Tribüne und beobachtete die Spiele der Schweizer Nationalmannschaft. «Nie hätte ich damals gedacht, selbst einmal dort unten zu stehen. Es ist schon ein Traum, der in Erfüllung geht», sagt er heute.
Stetige Entwicklung
Dabei ist das WM-Aufgebot der logische nächste Schritt. 2010 debütierte Bolliger bei Uster in der NLA und entwickelte sich schnell zum Leistungsträger. Im Januar 2013 folgte das erste Nationalmannschafts-Aufgebot für den physisch starken Spieler. Der nächste grosse Schritt kam im letzten Sommer mit dem Wechsel in die schwedische «Superligan» - der besten Unihockey-Liga der Welt. Dort unterschrieb er bei Aufsteiger Kais Mora einen Vertrag.
Während für andere Nationalspieler der Wechsel im Sommer nach Schweden zum Verhängnis wurde und sie aufgrund der fehlenden Spielpraxis den Sprung ins WM-Kader nicht schafften, ging bei Bolliger alles auf. «Er zeigt den Weg auf, wie es laufen muss», sagt Remo Manser, Assistenztrainer der Schweizer Nationalmannschaft. «Er hat sich für einen kleineren Verein entschieden, bekommt dort aber viel Spielzeit und Verantwortung.» Manser bezeichnet Bolliger als ruhigen Typ, der sehr besonnen und clever sei.
Keine Ablenkung in Mora
Dass Bolliger in Mora eine wichtige Rolle spielen kann, hat auch damit zu tun, dass er fast keine Angewöhnungszeit benötigte. «Ich fühlte mich von Anfang an wohl», sagt Bolliger, als er auf seine ersten Monate im kalten Schweden zurückblickt. Es ist ihm anzumerken, dass er es geniesst, sich ausschliesslich auf den Sport konzentrieren zu können.
Während er in der Schweiz sein ETH-Studium und die Trainings unter einen Hut bringen musste, kann er in Schweden alles dem Unihockey unterordnen. «Hier in diesem Städtchen gibt es nichts, das ablenken kann», sagt er.
Zwar hat er ursprünglich geplant, eine Arbeit zu suchen, geniesst aber momentan seine Freiheiten. Eine 100-Prozen-Stelle in einer Werkstatt lehnte er ab. So verbringt er seine Tage oft in der 31/2-Zimmer-Wohnung, die er mit einem Mitspieler bewohnt, geht mit Teamkollegen mittagessen oder besucht den Kraftraum. Anfangs noch alleine, inzwischen konnte er ein paar Kollegen dazu motivieren, ihn zu begleiten. «Individuell trainieren ist nicht gerade ihr Ding», sagt Bolliger mit einem Lachen.
Er selbst will sich weiter entwickeln und betrachtet das Unihockey in Schweden pragmatischer als in der Schweiz. «Ich konzentriere mich nur auf mich. Niederlagen sind einfacher zu verdauen als in Uster, wo ich emotional mit dem Klub verbunden war.»
Abgeklärt, aber unerfahren
Dabei ist die sportliche Situation durchaus mit seinem früheren Verein vergleichbar. Mit fünf Punkten aus elf Partien liegt der Aufsteiger auf dem letzten Platz. «Viele Spiele haben wir dumm und knapp verloren», sagt Bolliger. Er selbst zeigt sich mit seinen Leistungen zufrieden. Zwar verschweigt er nicht, dass die passivere schwedische Spielweise ihm nicht sehr behagt, mit sechs Punkten (4 Tore) ist er aber immerhin siebtbester Skorer seines Teams. «Ich habe mich nochmals weiter entwickeln können, bin jetzt auch in Drucksituationen ruhiger am Ball.»
Dies bestätigt auch Manser, der Bolligers Stärken im physischen Bereich und in seiner Abschlussstärke sieht. «Manchmal trifft er noch falsche Entscheidungen, aber das ist eine Frage der Erfahrung.» Für Manser ist aber klar, dass Bolliger auch in Zukunft eine wichtige Rolle in der Nationalmannschaft spielen wird.
Noch bestreitet Bolliger in Schweden ein Spiel, ehe die letzte WM-Vorbereitung ansteht. Diese verbringt die Schweiz in der Türkei, wo Taktik und Teambildung im Vordergrund stehen. Dazwischen bleibt etwas Zeit, um seine Freundin wieder zu sehen. Sie ist das Einzige, was Bolliger zurzeit in der Schweiz vermisst.
Zeitungsbericht "Zürcher Oberländer"