Ausgabe 121, November 2016 - Saison 2016/17

Der Center

Im Gegensatz zu Kim Nilsson war Johan Samuelsson noch nie beim schwedischen König. Dass dies den zweifachen Weltmeister nicht stört, macht ihn bei den Tigers zum perfekten Nachfolger Simon Stuckis.

Ein schwedischer Journalist sagte einmal, Kim Nilsson sei wie Christiano Ronaldo - Johan Samuelsson einer wie Andres Iniesta oder Xavi. Abgesehen davon, dass Samuelsson ein grosser Fan von Arsenal ist, passt der Vergleich.
Während die Nilssons gerne auf der Zürcher Bahnhofstrasse flanierten, hat der schwedische Nati-Captain Johan Samuelsson mit seiner Freundin Olivia seine Zelte im ländlichen Biglen aufgeschlagen. Gab Nilsson in seiner ersten Saison in der Schweiz rund 50 Interviews, sind es bei Samuelsson bisher vier. Und während Nilsson als Brecher und Torgarant gilt, ist Samuelsson der Dreh- und Angelpunkt seines Teams, der die Bälle in alle Richtungen verteilt.

Emmentaler Charme
Emmentaler Idylle statt hektische Grossstadt. Das sagt dem Weltstar zu, der bei seinen bisherigen Stationen - je vier Saisons bei IBK Dalen und Granlo BK - auch nicht in Metropolen tätig war. „Im Emmental haben wir ein Stück heile Welt angetroffen. Ob in der Käserei, im Dorfladen, Café oder im Verein - alle Menschen sind extrem nett und hilfsbereit. Andere mögen das als altmodisch bezeichnen, ich nenne es Charme", schwärmt er.
Auch sprachlich will er sich so bald als möglich zurecht finden. Er kaufte sich im Sommer Bücher, um schon in Schweden Deutsch zu lernen - von Berndeutsch war darin jedoch keine Rede. „Die Teamkollegen geben sich aber alle Mühe, meine Hochdeutsch- und Dialektkenntnisse ständig zu verbessern", sagt er lachend. Wir vereinbaren, spätestens Ende Saison ein weiteres Gespräch in deutscher Sprache zu führen.

_{Johan Samuelsson fühlt sich bei den Tigers wohl. (Bild: Fabian Trees)}

Soziales Netzwerk gesucht
Da ist er also. Der Captain der schwedischen Nationalmannschaft mit 95 Skorerpunkten aus 75 Länderspielen - und zwei Weltmeistertiteln. In 222 Superligan-Schlachten sammelte er 369 Punkte. In der Nati wie in der Liga überwiegen klar die Assists.
Nach dem Abstieg Granlos im Frühling war Samuelsson der begehrteste Spieler auf dem Transfermarkt. Für ihn stand aber bald fest: Nach der Herzensangelegenheit Granlo - dort trat er im Alter von 8 Jahren in den Verein ein und spielte nur in den vier Saisons während der Ausbildung zum Lehrer in Umea - konnte oder wollte er nicht einfach zum nächsten schwedischen Verein weiterziehen. Die Schweiz lockte als attraktive Auslandsdestination, um auch persönlich neue Erfahrungen zu sammeln. Mit Hilfe der Spielervermittlungsagentur JACT sortierte er die Angebote. Die Vorgabe an den neuen Verein lautete abgesehen von den sportlichen Kriterien: Das soziale Netwerk rund um den Sport musste stimmen.
Die Tigers konnten diese Bedingung erfüllen. Erstens wurde auch Johans Bruder Anton (mit Freundin) unter Vertrag genommen - und warum auch nicht, buchte der ein Jahr ältere Bruder für Granlo in den letzten zwei Saisons doch ebenfalls 54 Punkte in 43 Spielen. Zweitens: Mit Tigers-Sportchef Marc Dysli war im Verein eine Bezugsperson vorhanden, die Samuelsson schon von Zeiten bei Dalen kannte. Und drittens kam auch noch die Freundschaft zu Eishockey-Profi Anton Gustafsson (Fribourg Gottéron) dazu - das Netzwerk war geboren. „Mir war sehr wichtig, dass dieses Umfeld stimmt, da der Sport alleine die Tage nicht ausfüllt", betont Samuelsson.

Neues Loch graben
Sportlich gesehen ist Samuelssons Aufgabe klar. Nach dem Rücktritt der Vereinslegende Simon Stucki musste bei den Tigers ein neuer Leader her. Wer, wenn nich der schwedische Nati-Captain, kann diese grosse Lücke schliessen? „Das Loch, das Stucki hinterlassen hat, kann niemand füllen - er spielte sein ganzes Leben für diesen Verein", winkt Samuelsson gleich ab um dann jedoch vielversprechend anzufügen: „Aber vielleicht kann ich ja ein frisches Loch graben und eine neue Ära einläuten."
Nach acht gespielten Runden sieht Samuelssons „Loch" schon vielversprechend aus. 5 Tore, 22 Assists, aktueller Topskorer der Liga - an jedem zweiten Tor der Tigers ist der Center der ersten Linie beteiligt. Profitiert hat insbesondere Ivan Brechbühl, dem bereits 19 Tore gelangen.
Auch der vierte Zwischenrang der Emmentaler kann sich sehen lassen. „Vermutlich stehen wir derzeit an vierter bis sechster Stelle der Liga. Aber wenn wir die neuen Spieler noch besser integriert und das Puzzle komplett haben, wird in den Playoffs alles möglich sein", blickt er schon auf das kommende Jahr voraus.

Der Captain
Spieler integrieren - für Samuelsson keine Floskel. Er versteht sich auch in der schwedischen Nati nicht als Captain, der grosse Reden schwingt und alleine den Kurs vorgibt. „In der Nati will ich eine Führungsgruppe von vier oder fünf Spielern. Aber grundsätzlich können alle Spieler ihre Meinung einbringen - sie wollen ja auch alle gewinnen. Ich schreite vor allem dann ein, wenn jemand aus der Gruppe ausschert", sagt Samuelsson.
Bei den Tigers bespricht er sich oft mit den beiden gleichberechtigten Trainern Niklaus Engel und Daniel Hahne, wobei ihm der Austausch mit seinem schwedischen Landsmann derzeit noch leichter fällt. Doch auch die Teamkollegen werden vom Weltstar in den Teamprozess eingebunden. „Ob ich nun Andrin Hollenstein, Simon Steiner oder Yannick Glauser Ratschläge gebe, was sie anders oder besser machen könnten - ich will ihr Spiel nicht verändern. Es sind einfach Vorschläge", beschreibt Samuelsson seine Rolle.
Mit der Offensive des Teams sei er schon ziemlich zufrieden, nun gehe es darum, auch die Defensive noch zu verbessern und den Ball länger in den eigenen Reihen zu halten. Man merkt sofort - da ist einer, der nicht nur für sich und seine Skorerwerte schaut. Für den Schweden steht das Kollektiv im Zentrum.

_{Der schwedische Nati-Captain im Emmental. (Bild: Fabian Trees)}

Talentschuppen Granlo
Samuelssons Werdegang ist ein schwedischer Klassiker. Stundenlang wurde im Quartier Fussball und Hockey gespielt. „Die Eltern wussten immer, wo wir nach der Schule waren - entweder auf dem Fussballplatz oder auf der Strasse", erinnert sich der 27-Jährige. Neben den Samuelsson-Brüdern ist auch aus dem Nachbarsjungen Emil Forsberg etwas geworden - er kickt heute als Fussballprofi für RB Leipzig in der Bundesliga. Und gleich hinter dem nächsten Waldstück wohnten Robin Nilsberth (Storvreta) und Martin Östholm (Pixbo), die ihre Unihockeykarriere ebenfalls in Granlo, dem Dörfchen knapp ausserhalb von Sundsvall, begannen.
Johan Samuelsson war die Schule wichtig und die Eltern liessen ihn auch nie zum Sport, bevor die Hausaufgaben erledigt waren. Doch es blieb genug Zeit, um erst Eishockey zu spielen („damit hörte ich auf, weil mir die Busfahrten zum Training zu lange waren - daran erinnerte ich mich später bei Auswärtsfahrten mit Dalen"), dann Basketball und Handball. Bis 17 betrieb er auch Fussball ernsthaft. „In dieser Zeit und von diesen verschiedenen Sportarten habe ich enorm viel gelernt, was mich heute ausmacht", sagt er.
Dass er als einer der weltbesten Unihockeyaner im Emmental drei Tage pro Woche bei einem Vereinssponsor im Lager arbeitet, während der ehemalige Spielkamerad Forsberg in Leipzig das grosse Geld verdient, stört ihn nicht. „Ich möchte nicht tauschen", sagt er bestimmt. Um nach kurzem Nachdenken zu ergänzen: „Frag mich noch einmal, wenn er bei Arsenal spielt - wobei ich weiss, dass er lieber zu Liverpool gehen würde."

Das grosse Interview mit Johan Samuelsson und mehr lesen Sie in der gedruckten Ausgabe.