11.
2017
Mentale Unterstützung für die Nati
Seit diesem Sommer gehören mit Cristina Baldasarre und Hanspeter Gubelmann zwei Sportpsychologen fix zum Staff der Schweizer Herren-Nationalmannschaft. Im Interview erzählen die beiden, wie die Zusammenarbeit angelaufen ist und welche Ansätze sie verfolgen.
Cristina Baldasarre und Hanspeter Gubelmann, seit Kurzem gehört ihr offiziell zum Nati-Staff. Wie ist die Zusammenarbeit gestartet?
Hanspeter Gubelmann: Am Anfang unserer Zusammenarbeit fanden Gespräche mit dem Staff und der Captaingruppe statt. Zum ersten Mal dabei waren wir dann beim «Next-Generation-Camp» im September, wo ja U23-Spieler aufgeboten waren, die als potenzielle Nati-Spieler auf dem Weg in die Nationalmannschaft begleitet werden sollen. Da ging es natürlich auch für uns darum, zu schauen wer sich für das A-Team aufdrängt. Der erste Einsatz im Rahmen der A-Nationalmannschaft erfolgte dann am Vorbereitungscamp für die Euro Floorball Tour in Kirchberg.
Wie oft werdet ihr in Zukunft dabei sein?
Cristina Baldasarre: Das Ziel ist es, dass wir mehr oder weniger immer dabei sind, wenn das Team einen Zusammenzug hat. Bei Auslandreisen an Turniere ist es so angedacht, dass ebenfalls zumindest einer von uns dabei sein kann. Das alles immer in Absprache mit dem Trainerstaff. So können wir sicherstellen, dass wir das Team wirklich begleiten.
Hanspeter Gubelmann: Unsere Arbeit findet aber nicht nur bei der Mannschaft und in den Camps statt. Grundsätzlich erarbeiten wir mit den Spielern individuelle Massnahmen im Bereich des mentalen Trainings und stehen ihnen auch ausserhalb der Nationalmannschaft zur Verfügung, wenn sie Anliegen oder Fragen haben. Wir überlegen zudem, ob wir an vier Standorten weitere Angebote installieren können.
Welches ist euer erster Eindruck?
Cristina Baldasarre: Aus meiner Sicht ist die Zusammenarbeit erfreulich gut und positiv angelaufen! Ich kann mich nur für die grosse Offenheit bedanken, die uns entgegengebracht wurde: Alle sind sehr motiviert, hören interessiert zu und wollen einen Schritt vorwärtsgehen. Das erleichtert unsere Arbeit sehr, die Anfangs sehr viel Beobachtungszeit einnimmt und aufgrund unserer vielen Fragen ein Zusatzengagement vom Staff erfordert.
Hanspeter Gubelmann: Es wird sehr professionell und engagiert gearbeitet. Die Spieler zeigen sich sehr interessiert für die Themen der Sportpsychologie. Das ist keine Selbstverständlichkeit. denn generell herrscht oft die Meinung vor, es müsse ein «Problem» vorliegen, wenn man die Unterstützung eines Sportpsychologen in Anspruch nehme. Davon spüren wir hier gar nichts. Viele berichten von Erfahrungen mit Sportpsychologen, die sie schon früher, meist in ihren Vereinen, gesammelt haben. Dabei handelte es sich aber häufig um einmalige Kontakte, selten konnten die Spieler von langfristigen, zielgerichteten Begleitungen profitieren. Genau dort sehen wir grosses Optimierungspotenzial.
Mit welchen konkreten Massnahmen könnt ihr als Sportpsychologen die Mannschaft besser machen?
Cristina Baldasarre: Da gibt es verschiedene Schienen. Einerseits kann jeder individuell an sich selber arbeiten, um bei seinen persönlichen Herausforderungen und ganz gezielt in jenen Bereichen, in welchen er sich noch weniger sicher fühlt, einen Schritt weiterzukommen. Das machen wir quasi im geschützten Rahmen, in 1:1-Gesprächen. Zum anderen arbeiten wir mit dem Team als Ganzes. Es geht beispielsweise darum, die vorhandene Energie in die richtige Richtung zu bündeln oder zu erkennen, welche Kräfte in welcher Situation noch vermehrt herausgeholt werden können. Da übernimmt natürlich auch der Trainerstaff und das Captainsteam eine wichtige Führungsrolle. Ihnen geben wir unsere Beobachtungen weiter und diskutieren gemeinsam neue Ideen und Wege. Denn eines ist sicher: Wer eine Veränderung will, muss etwas Konkretes in seiner Routine ändern.
Wie würdet ihr euren Ansatz beschreiben?
Hanspeter Gubelmann: Eine unserer Grundhaltungen basiert auf der Überzeugung, dass wir dank unserer Stärken gewinnen. Dabei geht es vor allem darum, die eigenen Stärken weiterhin zu fördern und diese auch aufs Spielfeld im Wettkampf - dann wenn's zählt - zu bringen. Zudem müssen wir in jenen matchentscheidenden mentalen Bereichen besser arbeiten, wo wir noch nicht Weltklasse sind.
Cristina Baldasarre: Wichtig ist uns auch, dass wir zukunfts- sowie lösungsfokussiert arbeiten und nicht zu sehr in der Vergangenheit grübeln. Weshalb was bisher noch nicht ganz funktioniert hat interessiert nur bedingt. Vielmehr wollen wir uns anschauen, welche Ausgangslage wir jetzt vorfinden und wie wir den Schritt vorwärtskommen, der das Team noch erfolgreicher macht.
Hanspeter Gubelmann: Ein dritter wichtiger Punkt liegt in unserer Überzeugung, dass die Kompetenz im Team vorhanden ist. Wir haben einige sehr erfahrene Spieler, die unglaublich viel Knowhow zusammenbringen. Wir stellen allerdings auch fest, dass die Integration von neuen Spielern noch verbessert werden kann. Ein Kernelement liegt dabei in der Entwicklung einer hohen individuellen Erwartungshaltung, die jedem Teammitglied eine wirklich bedeutsame Rolle im Team zuschreibt.
Welche Massnahmen werdet ihr diesbezüglich konkret anregen?
Hanspeter Gubelmann: Neben der gesamten Palette der klassischen Tools, die in der Sportpsychologie angewandt werden, arbeiten wir auch gerne mit Bildern. Wenn wir an wichtige vergangene Ereignisse in unserem Leben denken, können wir uns diese meist auch in Bildern vorstellen. Und somit stehen wir sofort mitten im Erlebten: Durch Geräusche, Gerüche, Empfindungen etc. erhalten unsere inneren Bilder noch mehr Kraft. Mit dieser Methode lassen sich auch vergangene, vielleicht eher leistungshemmende Ereignisse verarbeiten.
Ein entscheidender Karriereschritt für alle Teamsportler ist das erste Spiel in der A-Nationalmannschaft. Deshalb haben wir dem Staff vorgeschlagen, den vier Nationalmannschafts-Neulingen nach der Euro Floorball Tour ein persönliches Bild zu überreichen. Auf einem Actionfoto des jeweiligen Spielers sind Datum, Gegner und Ort vermerkt. Da dieser Karriereschritt ein sehr emotionaler Moment darstellt, darf dieser auch ein wenig zelebriert werden. Diese Geste soll auch als Sinnbild dafür dienen, wie erstrebenswert es ist, in der Nationalmannschaft zu spielen.
Was habt ihr konkret im Rahmen der Euro Floorball Tour in Kirchberg bereits bewirken können?
Cristina Baldasarre: Wir waren vor allem da, um erst einmal zu beobachten, wie so ein Turnierwochenende bei der Schweizer Nationalmannschaft überhaupt abläuft. Wie funktioniert eine Matchvorbereitung? Was passiert in der Garderobe? Wie geht es auf und neben dem Spielfeld zu und her? Was ist nach dem Spiel los? Wir haben auf alle Fälle schon sehr viele konkrete Ideen und Anregungen. Unsere Aufgabe wird es nun sein, zu schauen in welchen Bereichen wir Optimierungspotenzial sehen und danach mit dem Trainerstaff bestimmen, wo wir konkret weiterarbeiten wollen.
Hanspeter Gubelmann: Mit rund der Hälfte der Spieler haben wir bereits Einzelgespräche geführt. Mindestens mit diesen Athleten haben wir bereits erste Themen angesprochen und kleine Hausaufgaben mitgeben können um so eine Weiterentwicklung anzuschieben.
Welche Themen beschäftigten euch in diesen Gesprächen am meisten?
Cristina Baldasarre: Wir sind offen und hören erstmal zu. Die Themen sind so vielfältig und individuell wie es die Spieler selber sind, das ist ganz normal und macht es ja so spannend. Über konkrete Inhalte wird ausserhalb der Einzelgespräche nicht kommuniziert, auch nicht gegenüber dem Trainerstaff. Diese Schweigepflicht, die wir als Psychologen sowieso haben, ist uns sehr wichtig. Sie dient als eine wichtige Grundlage für einen fundierten Beziehungsaufbau im Einzelgespräch.
Hanspeter Gubelmann: Generelle Themen sind etwa, wie sich die Vorbereitung auf das Spiel optimieren lässt oder wie man mit möglichst viel Überzeugung und Selbstvertrauen in eine Partie startet. Da spüren wir bereits viel Interesse von Seiten der Spieler - auch von den erfahrenen. Denn dieser Entwicklungsweg ist nie zu Ende. Interessanterweise sagen viele, dass sie die Situation als Spieler in der Nationalmannschaft anders erleben als sie es im Verein gewohnt sind. Meist auch deshalb, weil sie dort anders gecoacht werden und oft eine andere Rolle innehaben. Aus Sicht der Sportpsychologie ist es ein fantastischer Job, einen erstklassigen Vereinsspieler auf seinem Weg zum Weltklassespieler in der Nationalmannschaft zu unterstützen!