12.
2018
Der letzte Flug des geerdeten Piloten
Matthias Hofbauer beendet seine internationale Karriere «mit gutem Gefühl» - selbst wenn ihm der WM-Final verwehrt bleibt.
Mitten in der Prager Altstadt steht er nochmals im Mittelpunkt. Selbst wenn ihn die wenigsten sehen. Es ist eng und schummrig in der Hangar-Bar, das Lokal voller Schweizer Fans. Es wurde für die WM offiziell zum «House of Switzerland» umfunktioniert. Die ursprüngliche Einrichtung orientiert sich an den frühen Tagen der Passagierflüge, als die Fluggesellschaft Pan Am zur Ikone der Luftfahrt aufstieg. Im oberen Stock befindet sich die Pilot's Lounge. Im Untergeschoss wird einer gefeiert, der während Jahren das Unihockey-Nationalteam pilotiert hat: Matthias Hofbauer. Der Captain versinkt in der Masse. Dank des Mikrofons wird er gehört. Hofbauer erhält ein Schweizer Trikot mit der Anzahl Länderspiele als Rückennummer: 194 das erste im April 1999 in Motala (SWE) mit 17 Jahren gegen Finnland (2:3), das letzte im Dezember 2018 in Prag mit 37 gegen Tschechien (4:2). Er sagt: «Ich konnte noch einmal alles investieren, beende die internationale Karriere mit gutem Gefühl.» Aber: «Es tut weh.»
Mehr als Bronze verdient
In Prag endet Hofbauers Karriere im Nationalteam. Mit der Stadt verbindet der Stürmer spezielle Erinnerungen: 1998 reist er mit den Eltern als Zuschauer an die WM, kommt zum ersten Mal mit internationalem Unihockey in Berührung. 2008 gewinnt er mit der Schweiz in der 02-Arena das Spiel um Platz drei gegen Tschechien 5:4 nach Verlängerung die Partie gilt als eine der emotionalsten in der Geschichte des Schweizer Unihockeys.
Häufig steht Hofbauer mit dem Nationalteam nah am Final. Die vergebenen Chancen an den Heim-Weltmeisterschaften 2004 (Halbfinal-Niederlage gegen Tschechien) und 2012 (3:4 im Halbfinal gegen die Finnen nach 3:1-Führung) fuchsen ihn noch heute. Vor seinem letzten WMTurnier steckt Hofbauer viel Zeit in Zusatztrainings, intensiviert die Arbeit im mentalen Bereich. Weil er spürt, dass der Gewinn des WM-Titels mittlerweile mehr Realität denn Traum ist, wie er vor dem Auftakt sagt. «Es ist eine fixe Vorstellung» - Gold holen in der Goldenen Stadt. Zum ersten Mal in seiner Karriere visualisiert der Captain in der Vorbereitung die Übergabe des WM-Pokals. Am Ende hält er einmal mehr die kleine Trophäe für Platz drei in den Händen, trägt er zum siebenten Mal Bronze um den Hals. «Wir hatten sehr viel investiert. Wir hätten mehr als Bronze verdient», sagt Hofbauer. Er spricht vom Team, die Worte gelten speziell auch für ihn. Im Halbfinal, der gegen Schweden nach Penaltyschiessen verloren geht, gelingt dem Center nochmals eine Parforceleistung, die Nationaltrainer David Jansson mit «abartig gut» umschreibt. «Mätthu ist ein Unikum. Wir können ihn nicht ersetzen.»
Den Wandel mitgemacht
Mit 97 Punkten aus 57 Partien ist Hofbauer weltweit erfolgreichster Skorer an Unihockey-Titelkämpfen. Für die Schweiz ist er Rekordnationalspieler (194 Länderspiele) und -Torschütze (139 Treffer). Trotz beeindruckender Werte hebt der Berner nie ab; er ist der ruhige, umsichtige Leader. Die Sportart wandelt sich, Spieler kommen und gehen, Hofbauer hält sich an der Spitze. «Das Spielverständnis erleichtert vieles. Diese Kompetenz kommt nie aus der Mode», sagt er einmal. Für ihn bleiben weder Zahlen noch Rekorde. Vielmehr denkt er an Bruder Christoph: «Wir haben so viel zusammen erlebt, jeder wollte den anderen besser machen - das ist uns gelungen.» Denkt er an frühere und aktuelle Mitspieler: «Freundschaften fürs Leben sind entstanden. Mit vielen Spielern meiner Generation bildete ich jahrelang den Stamm der Schweizer Mannschaft. Ich bin auch stolz darauf, durfte ich mit der neuen Generation zwei WM-Turniere bestreiten. Nun ist meine Reise vorbei.» Allein mit dem Final hat es nie geklappt. «Die Finnen mussten lange warten. Irgendwann schlugen sie zu. Dieses Schweizer Team wird wachsen und ebenfalls zuschlagen.»
Symbolbild zum Abschluss
Grossanlässe wie die WM haben den Spielmacher in jüngerer Vergangenheit vom Rücktritt abgehalten. «Bei diesen Events spürst du, wie sich die Sportart entwickelt hat. Ein 08/15-Meisterschaftsspiel hingegen fühlt sich nicht besser an als vor zehn Jahren. Im Liga-Alltag hat Unihockey viel Steigerungspotenzial.»
Hofbauers Alltag ist geprägt von Beruf und Familie. Der Betriebsökonom führt ein KMU, ist seit anderthalb Jahren Vater. Wer eins und eins zusammenzählt, kommt zum Ergebnis, wonach er im Frühling auch bei Wiler-Ersigen den Rücktritt geben wird. «Ich freue mich, mehr Zeit für die Familie zu haben. Doch der Abschied fällt schwer. Unihockey ist die Welt, die ich liebe.»
Nach dem letzten Spiel das letzte Bild, Matthias Hofbauer mit dem Pokal in der Hand, Söhnchen Mats auf dem Arm. Der Filius kriegt einen Unihockeystock in die Finger. Interviews stehen an. Doch Mats ist nicht vom Feld zu bringen, will den Stock partout nicht hergeben. Sich vom Unihockey zu lösen, das ist ein schwieriges Unterfangen - der Vater bleibt geduldig. Er weiss Bescheid.
Quelle: "Berner Zeitung", von Reto Kirchofer