05.
2003
Interview mit Thomas Rieben
Thomas, du hast deinen Spielerinnen gesagt, sie sollen die Atmosphäre dieser WM geniessen. Kannst du das auch oder ist die Anspannung zu gross?
Nein, ich geniesse es total. Gestern war der Gemeinderat von Gümligen in der Halle – und plötzlich haben sie mich alle gekannt. Ganz im Gegensatz zu früher, als diese Halle noch mein „zu Hause“ war. Ich spüre auch sonst sehr viel Unterstützung, alle wollen, dass wir gewinnen. Das finde ich sehr schön.
Solange die Schweiz gewinnt, sind die Schulterklopfer immer da. Wie hätte es wohl ausgesehen, wenn es nicht so gut gelaufen wäre?
Ich habe mich mental mit allen Möglichkeiten auseinander gesetzt. Von Gruppenrang 3 bis zum Weltmeistertitel. Es ist klar, dass uns eine andere Stimmung entgegenschlagen würde, wenn wir die Halbfinalqualifikation nicht so souverän geschafft hätten.
Nach den Länderspielen in Zug ist vom Verband mehr oder weniger direkt gesagt worden: Entweder es gibt an der Heim-WM eine Medaille, oder die Budgets für die Damen-Auswahlen werden massiv gekürzt. Belastet das dich als Trainer nicht?
Ich finde so eine Forderung fair. Zumindest die Leistung muss stimmen. Ich bin überzeugt, dass beim Verband Leute mit genug Intelligenz arbeiten, die selbst beim Erreichen des 4.Ranges, was ja immer noch möglich ist, von einer gelungenen WM sprechen könnten. Aber die Leistung muss überzeugen – und das hat das Team bisher wohl eindeutig geschafft.
Die Leistung des Teams stimmt bis jetzt mit Sicherheit. Und sie wird durch den Zuschaueraufmarsch und das Medieninteresse auch honoriert. Was bedeutet dir das?
Für mich ist das so etwas wie eine Belohnung für 18 Jahre Einsatz im Unihockey. Ich darf ja gar nicht daran denken, was ich in all diesen Jahren an Zeit in diesen Sport investiert habe. Das jetzt in dieser Woche eine derartige Resonanz da ist, befriedigt mich natürlich sehr.
Heute Donnerstag ist spielfrei – was hat die Schweizer Nati vor?
Ich weiss es selber nicht genau, das ist eine Überraschung der Teamleitung. Es geht ins Berner Oberland, soviel weiss ich... Es geht uns darum, etwas abzuschalten und für den weiteren Verlauf des Turniers wieder voll da zu sein. Wir werden jedenfalls in keiner Minute einen Stock anfassen.
Als Journalist darf man das ja sagen – Norwegen spielt man lieber als Schweden im Halbfinal...
Das denke ich auch. Das hat nichts mit Überheblichkeit zu tun, denn die Norwegerinnen waren hier so stark wie noch nie. Aber wir haben sie schon geschlagen, das gibt für uns einen psychologischen Vorteil. Bei den Schwedinnen wäre die Barriere wohl einiges schwieriger zu überwinden gewesen.
Diese Barriere ist immer noch da. Was braucht es, um diese abzubauen?
Ich denke, dass die neue Generation so weit ist. Die „Alten“ haben immer noch ehrfürchtig zu den Skandinavierinnen hoch geschaut. Nicht offensichtlich zwar, aber zumindest im Unterbewusstsein. Die neue junge Generation will einfach gewinnen, egal gegen wen. Die Stimmung in der Mannschaft ist sehr gut und locker. Das hat man auch gesehen, als Tanja Ertürk nachnomminiert worden ist. Innert Stunden war sie im Team integriert, das wäre früher nicht so schnell passiert.
Was erwartest du jetzt vom Halbfinal gegen Norwegen?
Zunächst einmal hoffe ich natürlich, dass wir von den Zuschauern super unterstützt werden. Im Wankdorf braucht es noch ein paar mehr als hier in Gümligen, um den gleichen Stimmungspegel zu erreichen. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir das schaffen werden. Und sportlich muss natürlich der Einzug ins Finale das Ziel sein. Es wird ein Spiel der Nerven, in dem ich hoffe, dass die Zuschauer das Zünglein an der Waage zu unseren Gunsten spielen werden.
Die grosse Chance zum Finale ist da. Wäre das auch eine besondere Genugtuung für dich, wenn du an all die Kritiker und negativen Prognosen vor der WM denkst?
Auf der GC-Homepage haben glaub etwa 95% der Tipper auf einen 4. Rang der Schweiz gesetzt. Ich finde das leider typisch schweizerisch. In Deutschland hätte man ein viel schlechteres Team an der Heim-WM bestimmt auf einen Medaillenrang gesetzt... Man sollte auch beachten, dass das jetzige Team von zwei Schweizern zum Erfolg geführt wurde. Es braucht nicht immer Ausländer dazu. Sogar René Berliat hat ja gesagt, dass er den Respekt vor seiner Arbeit erst so richtig gespürt hat, als er nach Schweden ging. Das muss doch nicht sein, wir Schweizer sollten ein höheres Selbstwertgefühl entwickeln.
Besten Dank für das Gespräch und viel Erfolg im Halbfinal und hoffentlich auch Final!