11.
2008
Das Pokerturnier
Wie in Las Vegas fühlte ich mich am vorletzten Wochenende. Nein, ich war nicht in der Wüste um Siegfried und Roy beim Tiger bändigen zuzusehen, klimatisch gesehen war Kuopio als Ausrichter des letzten WM-Vorbereitungsturniers eher das Gegenteil von Vegas. Aber wo ist Kuopio? Kurz die Koordinaten: Südosten Finnland, Provinz Savo, 333 km Luftlinie von Helsinki, 100 km von Joensuu, im November rund 4 h Tageslicht, stündlich ein Direktflug nach Helsinki (Check-In bis 15 Minuten vor Abflug möglich). „Die Leute dort sind ein wenig speziell", warnte ein finnischer Journalistenkollege. Ich kanns nicht beurteilen - konsequent wurde ich zwar auf Finnisch angesprochen (seh ich wirklich so blass aus?), auf mein „excuse me, I don't speak Finnish" wurde dann munter weiter in einer der unverständlichsten Sprachen der Welt (15 Fälle!) weitergebrabbelt ...
Item, zurück zur Spielhalle. Ich habe schon einige Arenen gesehen, die Kuoppiohalli übertraf aber alles. Ein Fussballfeld mit 400-m Laufbahn rundherum befand sich darin. Unglaublich - und ich verzeihe meiner Digicam bis jetzt nicht, dass sie genau am letzten Wochenende ihren Dienst aufgab. In einem Viertel der Halle wurde das Spielfeld aufgebaut und mit Tennistribünen umrahmt. Den restlichen Platz nahmen eine Autoausstellung, diverse Sportfachhändler und Festzelte ein. Stimmung kam in der riesigen Halle aber selten auf. Zu verloren das Spielfeld, zudem sind Finnen gelinde gesagt, ein nicht sehr emotionales Sportpublikum. Jedenfalls wenn es nicht um Titel geht oder Schweden in der Halle sind. (Wie sagte doch ein Journikollege so treffend: „I heard man speak 7000 words a day - for finnish man are 700 quite enough").
Wie in Las Vegas wurde in der Kuoppiohalli eifrig Poker gespielt. Nicht mit Sonnenbrille am Tisch, dafür mit Schutzbrille auf dem Spielfeld. Fünf Wochen vor der WM wollten sich die Coaches nicht in die Karten schauen lassen. Trotzdem waren einige „Blätter" unübersichtlich. Die Finnen liessen gegen Tschechien und die Schweiz ihre besten Pferdchen galoppieren. Das hiess dann Kohonen/Kohonen/Tiitu, Hyvärinen/Jussila/Manner und Kapanen/Kukkola/Koskelainen. Ausser den Lassi-Vänttinen Fans treiben diese drei Linien jedem Unihockey-Liebhaber Tränen der Glückseligkeit in die Augen. Finnland ist für mich der absolute Topfavorit an der WM. Die Mannschaft steht im Zenit ihrer Leistungsfähigkeit, ist vorne, wie auch in der Abwehr exzellent bestückt (Punkari spielt besser denn je, Savolainen und Kivilehto nur knapp weniger auffallend) und hat mit Rickie Hyvärinen einen absoluten Topshot ausgegraben. Einzig ein Topgoalie fehlt - Naumanen wie Toivoniemi kommen über das Prädikat „Zwischen Himmel und Hölle wankend" nicht hinaus.
Weltmeister Schweden präsentierte sich weit weniger vorzüglich. Die Elche spielen einen heissen Poker - von den beiden Topvereinen AIK und Warberg blieb der jeweils erste Block abwechslungsweise gegen Tschechien und die Schweiz draussen. Daneben konnten sich viele „sons" in der Länderspielstatistik eintragen. Selbst die Kollegen von Innebandymagazinet nannten einige Spieler „anonymus players". Olle Thorsell konnte einem fast leid tun, als er sich mit einigen ungelenken Recken im dritten Block abmühen musste. Nach seinem Tor gegen die Schweiz hätte ich gedacht, es reicht diesmal für ihn - aber siehe da, falsch gedacht. Erneut muss er kurz vor der WM die bittere „Leider nein" Pille schlucken. Aber trotzdem wird kein Weg zu Gold an Tre Kronor vorbeigehen - zu viel individuelle Klasse steht in den beiden ersten Linien, ebenso im „Best-of-the-rest" dritten Block. Mit Peter Sjögren wissen die Schweden zudem den besten Goalie der Welt im Rücken.
Tschechien bleibt eine Wundertüte. Wenn das Ziel wirklich das WM-Finale sein soll, dann müssen die Tschechen noch einige Trümpfe aus dem Ärmel schütteln. Irgendwie hat das in Kuopio gar nicht geklappt. Wie 2004 spielte Radim Cepek mit den Kozusnik-Brüdern in der ersten Formation, daneben standen anfangs auch noch Tomas Trnavsky und Radek Sikora in der Aufstellung. Gegen die Schweiz sassen dann beide auf der Tribüne. Die Tschechen scheinen trotzdem auf Routine zu setzen - ausser Sladky und Skalik (beide 1986) und Verteidiger Jan Jelinek (89) war kein Spieler unter 25 Jahren dabei. Und im Tor steht nach wie vor der unverwüstliche Tomas Kafka - leider nur noch ein Schatten seiner selbst. Vom „besten Torhüter der Welt" von 2006 ist Kafka. 08 jedenfalls meilenweit entfernt.
Und die Schweizer? Die pokerten nur 40 Minuten gegen Finnland. Danach war wieder urchiger Jass angesagt: Das Gerüst steht noch von der letzten WM, mit Roger Gerber, Matthias Hofbauer und Simon Stucki sind drei Center dabei, die auch auf internationalem Terrain jede Abwehr aushebeln können. Hinter dem Trio steht mit Armin Brunner ein Defensivcenter bereit, welcher vor allem im Boxplay wertvoll sein wird. Neben frischem Wind bringen Emanuel Antener und Patrick Mendelin auch die seltene Schweizer Gabe „Torriecher" mit. Dass Adrian Zimmermann seinen Topskorertitel verteidigen kann, muss aber bezweifelt werden. Zu sehr bremsen ihn seine Blessuren. Ein Juwel beginnt im Tor immer mehr zu glänzen. Philipp Gerber ist auf dem Weg zur absoluten Weltspitze. Die Katze von Oberdiessbach kann an guten Tagen auch Svensson & Co. zum Verzweifeln bringen.
Und bei allem Patriotismus, dass die Schweizer den WM-Final erreichen, glaube ich nicht. Vor allem im Abschluss sind die Unterschiede zu Finnland und Schweden zu gross. Und in der Abwehr fehlt ein Leader der Klasse Punkari oder Quist, welcher in kritischen Momenten das Kommando übernimmt. Die Halbfinals sollten aber kein Problem sein, wenn die Schweizer in den beiden ersten Partien Estland (mit den Talme-Brüdern) und Norwegen (mehr Spieler in der SSL als die Schweiz) nicht unterschätzen. Dafür würde dann im Halbfinale entweder Titelverteidiger Schweden (sehr wahrscheinlich) oder Gastgeber Tschechien, wenn dieser dem Druck des Heimpublikums gewachsen ist, warten. Trotzdem lasse ich mich gerne überraschen - für das Finalspiel nehme ich das feine Tschöpli und die Krawatte mit. Diese fehlte am EC-Finale, vielleicht ist es das entscheidende Detail...