12.
2008
Steel City
Ostrava ist eine triste Stadt. Auf dem Weg in die Halle reihen sich kilometerlang verrostete Stahlwerke, bei welchen wir nicht sicher sind, ob sie noch in Betrieb sind oder nicht. Man fühlt sich um Jahrzehnte zurückversetzt. Vitkovice Steel heisst darum auch passend die Eishockeymannschaft Ostravas. Düstere Geschichten erzählten mir meine Kollegen von unihockey.ch auch über ihre ersten Ostrava-Erfahrungen anlässlich des Europacups 2005. Keine Zuschauer, unfreundliche Helfer, kein funktionierendes Internet und praktisch keine Zuschauer. Kurz: Meine Erwartungen an die diesjährige Weltmeisterschaft waren eher im unteren Segment einzugliedern.
Nach zwei Tagen WM Ostrava bin ich aber positiv überrascht. Ostrava ist eine Hockeystadt und die Organisiation tadellos. Die Zuschauer sind begeisterungsfähig und interessieren sich nicht nur für die Spiele der Tschechen. 5600 Zuschauer waren gestern Nachmittag beim Spiel Estland - Finnland, 1700 tags zuvor bei Schweden - Italien. (Böse Zungen meinten zwar, dass man an einem verregneten Wochenende in Ostrava auch nicht mehr machen könne, als in die Halle zu hocken...). Richtig die Post ging aber gestern bei Tschechien - Schweden ab. Eine Stimmung wie bei einem WM-Final. Kalt lief es mir den Rücken hinab, als ich in die Cez-Arena kam. Die Gänsehaut blieb während dem ganzen Spiel. So eine Begeisterung habe ich zuletzt bei der WM 2004 in Kloten erlebt.
Der Funke sprang auch auf die Tschechischen Spieler über. Nicht wieder zu erkennen waren diese. Zeitweise hatte man das Gefühl, dass drei Zalesnys auf dem Feld herumwieseln und Skalik ist wohl während den ersten zwei Dritteln mehr gelaufen, als während der ganzen letzten Saison in Chur... Unglaublich, mit welcher Leidenschaft die Tschechen die Schweden buchstäblich vom Feld arbeiteten. Noch selten sah eine schwedische Nationalmannschaft so ratlos aus. Und nicht zu vergessen: Mit Quist fehlte nur einer der Topstars angeschlagen. Gerettet hat die Schweden nur einer. An Fredrik Djurling Coolness verlosch sogar das tschechische Feuer. Unglaublich, mit welcher Nervenstärke er das 5:4 schoss. (Die bösen Zungen meinten danach, dass er zwar der beste Schwede sei, er es aber trotzdem nicht ins Allstar Team schaffe, da der Platz schon für Niklas Jihde besetzt werde...)
Die überragende Figur bei den Tschechen war Tomas Kafka. 2006 bestimmte ihn die Unihockey-Bibel innebandymagazinet zum besten Torhüter der Welt. Nach einer Saison beim Abstiegskandidaten Bohemians kehrte der lange Kafka zurück zu Tatran Stresovice. Dreimal habe ich ihn vor der WM gesehen, am Champy-Cup, am Europacup und bei den Länderspielen in Kuopio. Und jedesmal hätte sich wohl ein Mehlsack im Tor mehr bewegt als Kafka. Gestern Abend zeigte er nun warum er immer noch die Nr. 1 ist - jedenfalls bei den Tschechen. Wie ein Tiger auf Beutefang hechtete er nach den Bällen und war meist schon da, wenn die schwedischen Stürmer aufs Tor schossen. Beeindruckend.
Die Schweizer hingegen präsentierten sich noch nicht in WM-Form. „Wir wollen das Wochenende heil überstehen", meinte Natitrainer Peter Düggeli. Überstanden haben sie es nun und das beste ist, dass die Schweizer zwar fünf Drittel lang bescheiden spielten, aber trotzdem beide Partien gewannen. Das gibt Mut, Estland und Norwegen waren zwei happige Brocken, welche nichts zu verlieren hatten gegen die Schweiz. Und das letzte Drittel gegen die Norweger erfreute das Schweizerherz wieder. Gegen Finnland können die Schweizer nun befreit auftreten, die Halbfinalquali sollte am Donnerstag gegen Dänemark nur noch eine Formsache sein - wenn nicht schon heute, wenn die Esten Norwegen schlagen.
So richtig an einen WM-Final mit der Schweizer Nati mag ich aber immer noch nicht glauben. Vor allem die Abwehr macht mir Sorgen. Bis auf Daniel Bill kommt nicht viel an offensiven Ideen von den Verteidigern. Und defensiv erfüllten sie ihren Job erst im letzten Drittel gegen Norwegen. Eine Teilschuld muss dabei auch Goalie Philipp Gerber auf sich nehmen. Die Sicherheit, welche er in der Meisterschaft und in den letzten Länderspielen in Kuopio ausstrahlte, ist beinahe weg. Als ehemaliger Torhüter leide ich mit ihm. Er unternimmt alles um wieder ins Spiel zu kommen, doch die gegnerischen Stürmer merken, dass sein Selbstvertrauen einen Knacks hat. Da nützen auch die besten Trainingsleistungen nichts. Ich bin gespannt, ob er morgen gegen Finnland wieder im Tor steht oder Routinier Roger Tönz eine Chance erhält. Mit Sicherheit wird dies eine der schwersten Entscheidungen für die Nationaltrainer sein - ein Gerber in Hochform kann die Schweiz ins WM-Finale hexen. Ein Zappelphilipp verunsichert aber eine ganze Abwehr.