10.
2011
Grosses Kino, kleine Bühne
Spiele mit Storvreta bieten meist viel Unterhaltungswert. Genie und Wahnsinn liegen dort nah beieinander. Die "första femma" rund um Mastermind Mika Kohonen ist für die genialen Momente zuständig. Die zweite rund um Joel Kanebjörk für den Rest. Eine dritte Linie gibt es auf dem Papier auch, ist aber mehr Dekoration. Am Freitag durfte ich wieder mal Zeuge eines grossen Auftritts von Kohonen & Co. werden. Eine Helden-Sage sollte es werden, zu einer Tragödie verkam es. Doch niemand "stirbt" so schön wie die Adler aus Uppsala. Man muss sich das einmal vorstellen: Wenn die erste Linie das Spielfeld betritt, dann verlässt sie dieses in der Regel erst wieder nach zwei Minuten. Wer selber Unihockey spielt, weiss: Eine Ewigkeit. Vor allem gilt es für gegnerische Formationen nur darum kein Tor zu erhalten. Selbst beim Champions-Cup-Halbfinale gegen SSV Helsinki war dies nicht anders. Gestande Männer, Weltmeister wie Järvi oder Tiitu, standen vor ihrem Tor wie einer Unterzahl-Formation und hofften, dass sie den Einsatz ohne Gegentor überstehen würden.
Über allen thront Mika Kohonen. Offiziell ist Thomas Brottmann Trainer bei Storvreta (Assistenztrainer gibt es keinen, nur noch einen Teamleader und zwei Physiotherapeuten).Inoffiziell zieht MK die Fäden. Auf dem Spielfeld hat er Narrenfreiheit. Eigentlich wäre er Center, doch meist kurbelt er das Spiel im Stil eines Liberos an. Ganz "lustig" wird es wenn Storvreta in Rückstand liegt. Dann werden zehn von 18 Spielern zu Zuschauern mit Sitzplatz in der ersten Reihe. Gewechsel wird nur noch im Einzelsprung. Henrik Stenberg, das Wunderkind, stellt normalerweise seine Trinkflasche hinter die gegnerische Bande. Hannes Öhman, der Sniper, der wohl in jeder Nationalmannschaft der Welt einen Stammplatz hätte, bei den Finnen seit 2004 aber nicht mehr dabei war und Fredrik Holtz, die "deutsche" Eiche warten dann jeweils darauf, dass sie von Kung Kohonen bedient werden.
Nicht immer geht das gut. Der Rückwärtsgang klemmt oft bei den grossen Tenören. Dazu kassieren sie immer wieder unnötige Strafen. Überzahlspezialisten wie SSV, können sich so im Spiel halten. Ebenso konterstarke Teams, wie Tatran am Dienstag. Am Freitag scheiterte Storvreta vor allem daran, dass jedes Tor ein Kunstwerk werden sollte. Kein einfaches Weitschusstor, ein Geniestreich, ein van Gogh der Unihockey-Geschichte sollte es werden. In einer Mischung aus Überheblichkeit, Selbstverliebtheit und Grössenwahn haben die Storvreta-Spieler wohl gar nicht gemerkt, dass SSV aus praktisch jeder zweiten Chance auch ein Tor erzielte. "Wir biegen das Ding schon noch irgendwie hin", war wohl das allgemeine Motto. Wurde es nicht. Aufgeweckt aus ihrem Traum wurden die Schweden wohl erst von der Schlussirene.
Warum schreibe ich all diese Zeilen? Spiele wie das gestrige Halbfinale sind Klassiker, welche nur selten vorkommen. So ein Spiel live zu erleben, ist ein Privileg. Webstream hin, Liveticker her. Bei solchen Spielen muss man auf der Tribüne sitzen, um das wirklich geniessen zu können. Neben mir taten dies nur - gut gezählte - 870 weitere Zuschauer. Eine viel zu kleine Bühne. Ich frage mich ernsthaft: Was muss noch mehr geboten werden? Zwei der besten Mannschaften der Welt spielen um 16 Uhr am Freitagabend in einer Hockeystadt in der tschechischen Provinz. Und nicht mal 1000 Zuschauer wollen das sehen. Und es ist ja nicht so, dass der Event Champions Cup geheim gehalten wurde. Die Innenstadt ist mit Plakaten vollgepflastert, ebenso wie das Stadion gleich neben der Altstadt. "Auch an Radio und TV wurde eifrig Werbung gemacht, mehr geht nicht mehr", erzählte uns Tschechiens Verbandspräsi Filip Zuman.
Das Kind "Champions Cup" hätte definitiv einen grösseren Zuschauerzuspruch verdient. Das System mit den zwei Dreier-Gruppen ist attraktiv, da jede Partie von grosser Wichtigkeit ist. Das Niveau - abgesehen von den Qualifikanten bei den Frauen - bei allen Teams sehr hoch. Die Organisation der Tschechen wie immer vorbildhaft. Ein wirklich gutes Produkt. Scheinbar waren die Eintrittspreise zu hoch, war da und dort zu vernehmen. Gegenfrage: Wann kann in Mlada Boleslav wohl das nächste Mal eine Partie der besten schwedischen und finnischen Mannschaften live angeschaut werden? Es ist wohl scheinbar wirklich so, dass auch in einer Tschechischen Hockey-Provinzstadt das Interesse an Unihockey abnimmt, wenn nicht die einheimische Mannschaft antritt. Eine sehr ernüchternde Erkenntnis. Auch im Jahr 2011 heisst es immer noch: Es gibt noch viel zu tun, bis endlich auch Spiele von europäischen Spitzenmannschaften einen ansprechenden Zuschauerzuspruch bekommen. Ich habe die Hoffnung darauf, noch nicht begraben.